Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
ja, wie es ist – wenn so was passiert, steht jeder unter Schock, und nachdem der Ehemann ins Krankenhaus gebracht wurde...«
»Raus damit, verdammt noch mal.«
Er hustete abermals und drehte seinen Helm in den Fingern. »Ich habe mit der Dame von nebenan gesprochen. Sie sagt, sie hätte gerade erst daran gedacht, es zu erwähnen … Tja, anscheinend waren hier drei Kinder zu Hause. Mrs. Mullen hatte außer den beiden Jungs noch eine Tochter.«
Fry starrte auf die verkohlten Trümmer und dachte an die Schlafzimmer. Am Ende des Flurs befand sich eine verschlossene Tür, ein drittes Zimmer, das sie nicht betreten hatte. Aber die Feuerwehrleute waren doch bestimmt im ganzen Haus gewesen, oder nicht? Sie hätten auf der Suche nach Opfern doch sicher kein Zimmer ausgelassen, nicht wahr?
»Vielleicht war die Tochter nicht zu Hause«, sagte sie. »Sie hat womöglich bei Freunden übernachtet oder so. Wie alt ist sie denn?«
Der Polizist schluckte. »Der Nachbarin zufolge ist das dritte Kind ungefähr achtzehn Monate alt.«
Fry biss sich auf die Lippe. Sie hasste Vorfälle, in die Kinder verwickelt waren. Diesen Job hätte irgendjemand anderer übernehmen sollen. Sie hätte einen ihrer Detective Constables schicken sollen. Allerdings nicht Gavin Murfin – na ja, zumindest nicht allein. Aber Ben Cooper wäre eine gute Wahl gewesen. Cooper verstand Kinder. Er wusste alles über Familien. Fry vermutete, er hätte viel mehr aus der Situation in diesem Haus herauslesen können als sie selbst. Doch Cooper hatte an diesem Morgen nicht Frühdienst gehabt. Man bekam nicht immer den richtigen Mitarbeiter für einen Job.
Ihr Blick wanderte an dem Police Constable vorbei und zurück zu den Müllsäcken, die neben der Eingangstür standen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Säcke nicht deshalb so prall waren, weil sie mit Kleidungsstücken vollgestopft waren, sondern weil das Plastik zu obszönen Geschwülsten und Beulen geschmolzen war und sich zusammengezogen hatte. Einer der Säcke war aufgeplatzt, nachdem Gavin die Tür gegen ihn gedrückt hatte, und aus dem Riss lugte der Rock eines blauen Baby-Gap-Jeanskleids hervor.
»Wo ist der Ehemann jetzt?«, fragte Fry.
»Im Krankenhaus von Edendale«, sagte der Police Constable. »Er hat sich bei dem Versuch, ins Haus zu gelangen, leichte Verbrennungen und eine Rauchvergiftung zugezogen.«
»Sagten Sie gerade › ins Haus‹?«
»Ja. Er war nicht zu Hause, als das Feuer ausbrach. Ich dachte, das hätte man Ihnen gesagt.«
»Es scheint einiges zu geben, das mir niemand sagt«, entgegnete Fry. »Haben hier etwa alle ein Schweigegelübde abgelegt?«
Postbote Bernie Wilding war mit seinen Zustellungen in Foxlow an diesem Morgen bereits spät dran, als ihm das Paket für Rose Shepherd einfiel. Das war schon an sich ungewöhnlich – abgesehen von ihren Kontoauszügen und Werbung bekam Miss Shepherd nur selten etwas zugeschickt. An den meisten Tagen hatte er in seinem Kleintransporter gar nichts für sie dabei.
Bernie wendete am Ende der Pinfold Lane in drei Zügen und hielt vor dem schmiedeeisernen Tor von Bain House an. Er hörte die Ken-Bruce-Show auf Radio Two und drehte den Apparat leiser, bevor er das Fenster herunterkurbelte. Dann streckte er den Arm aus und drückte den Klingelknopf an der Sprechanlage, erhielt jedoch keine Antwort. Das war ebenfalls etwas merkwürdig. Die Leute im Ort sagten, Miss Shepherd
würde nie irgendwohin gehen. Sie galt als Einsiedlerin, die sich allein in ihrem großen Haus einschloss. Und tatsächlich war sie noch nie unterwegs gewesen, wenn er ein Paket bei ihr abliefern wollte.
Aber er nahm an, dass auch eine Einsiedlerin hin und wieder zum Einkaufen gehen musste. Ein Besuch beim Hausarzt, beim Zahnarzt, beim Optiker. Na ja, ihn ging das ja sowieso nichts an.
Bernie kritzelte eine Nachricht auf eine seiner Karten, um diese in den Briefkasten zu stecken. Als er jedoch die Klappe anhob, sah er, dass sich darin noch der Werbeprospekt eines Möbelhauses sowie eine kostenlose Zeitung befanden, die Kinder aus der Gegend am Wochenende austrugen. Und das sah Miss Shepherd ganz und gar nicht ähnlich. Obwohl er sie manchmal wochenlang nicht zu Gesicht bekam, wusste er immer, dass sie zu Hause war, weil sie ihren Briefkasten leerte. Das war auch vernünftig, da es sonst den Eindruck vermittelte, als sei niemand zu Hause. Es gab Kriminelle, die nachts durch solche Ortschaften fuhren und nach Anzeichen für leere Häuser Ausschau
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