Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
und nichts konnte ihn mehr berühren.
Doch jetzt sprang er so hastig auf, dass sein Stuhl umkippte.
»Verdammte Scheiße!«, brüllte er aus vollem Hals.
16 . Kapitel
Der Mann, der an die Tür kam, musste Jökull sein.
»Guten Tag«, sagte er mit träger Stimme, fixierte Ari durch seine runden Brillengläser und war ziemlich abweisend. Ari bemerkte die Verwandtschaft sofort. Wie Feuer und Eis, dachte er. Jökull war kleiner und schmaler als Logi, aber sie waren eindeutig Brüder.
»Ich heiße Ari und muss kurz mit Ihnen und Ihrer Frau sprechen, wegen des Todes von Elías Freysson«, sagte er entschlossen und wartete darauf, hineingebeten zu werden, doch Jökull schien nicht auf Gäste eingerichtet zu sein.
»Äh … ja«, antwortete er zögernd, »was wollen Sie denn wissen?«
»Wo war Ihr Bruder letzte Nacht?«
»Äh … glauben Sie, dass Logi den Mann ermordet hat?«, entgegnete Jökull langsam und mit leiser Stimme.
Ari dachte kurz darüber nach, die Sache zu entschärfen und dem Mann zu sagen, dass sein Bruder natürlich nicht unter Verdacht stünde und die Polizei lediglich die Alibis der Kollegen des Toten überprüfen müsse. Aber eigentlich gab es dazu keinen Anlass, und er antwortete: »Wer weiß? Natürlich steht er unter Verdacht.«
Das brachte Jökull leicht aus der Fassung, und er zeigte zum ersten Mal eine Gefühlsregung.
»Er, also … er war die ganze Nacht zu Hause.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein?«
»Meine Frau Móna und ich waren mehr oder weniger die ganze Nacht wach. Sie ist schwanger und fühlte sich nicht gut.« Er rückte die Brille auf seiner Nase zurecht.
»Hätte er das Haus verlassen können, ohne dass Sie es gemerkt hätten?«, fragte Ari etwas lauter.
»Tja … nur wenn er im ersten Stock aus dem Fenster gesprungen wäre.« Dann fügte er hinzu: »Aber ich weiß, dass er letzte Nacht zu Hause war. Er kam runter und hat mit uns ungefähr die Hälfte eines Films angeschaut,
Seven
. So ist das mit der Schichtarbeit – man schläft zu den merkwürdigsten Uhrzeiten.«
»Machen Sie auch Schichtarbeit?«
»Nein … nein, körperliche Arbeit liegt mir nicht. Ich gehöre eher an einen Computer. Ich arbeite bei der Sparkasse.« Er wirkte verwundert über die Frage und ging wahrscheinlich davon aus, dass jeder wusste, wer bei den wichtigsten Einrichtungen im Ort arbeitete.
»Ich muss auch mit Ihrer Frau sprechen.«
»Wie … mit meiner Frau? Ich glaube, sie schläft.«
Ari blieb ungerührt auf der Treppenstufe stehen. Er lächelte nicht, wartete nur ab und ließ die Zeit für sich arbeiten.
»Na gut, ich hole sie.« Jökull seufzte und verschwand.
Ari trat ein paar Schritte zurück, während er wartete, und musterte das gelb gestrichene Haus; eine kleine Spinne wanderte die Wand hoch. Das Haus schien relativ frisch gestrichen zu sein, war aber vermutlich in den sechziger oder siebziger Jahren gebaut worden.
»Hallo«, sagte eine schläfrige Stimme. Ari drehte den Kopf und sah die schwangere Frau. »Ich bin Móna. Wollten Sie etwas mit mir besprechen? Sie müssen Ari sein. Tómas hat mir von Ihnen erzählt … ich bin mit ihm verwandt.«
»Hallo, nur eine ganz kurze Frage. Wissen Sie, wo ihr Schwager Logi letzte Nacht war?«
»Ja, hier zu Hause«, antwortete sie müde. »Wir haben auf den hier aufgepasst.« Sie zeigte auf ihren Bauch und versuchte zu lächeln.
Ari verabschiedete sich.
Auf dem Weg zum Polizeiwagen wanderte sein Blick hinauf zu den Bergen.
An den meisten Hängen lag noch Schnee.
In Siglufjörður war der Winter nie weit.
17 . Kapitel
Nachdem Ísrún in den Radionachrichten gehört hatte, dass Ríkharður Lindgren der Besitzer des Hauses war, bei dem die Leiche gefunden worden war, fuhr sie noch einmal in die Redaktion. Von der Vulkanasche hatte sie immer noch einen üblen Geschmack im Mund. Die Aschewolke über der Hauptstadt wurde im Lauf des Tages immer dichter, und die Temperatur stieg. Verdammter Vulkanausbruch. Meistens freute sich Ísrún über warme Sommertage, aber jetzt wäre ihr kalter Nordwind lieber gewesen.
Sie erinnerte sich gut an Ríkharðurs Fall. Er war in die Schlagzeilen gekommen, als sie vor ihrem Masterstudium in der Redaktion gearbeitet hatte. Dort hatte man allerdings entschieden, seinen Namen nicht öffentlich zu machen; der damalige Nachrichtenchef war überaus diskret gewesen und hatte die Verbreitung tragischer Meldungen auf ein Mindestmaß beschränkt. Drei Menschen waren aufgrund von Ríkharðurs
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