Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
berichtet«, sagte Kommi verdutzt.
Ísrún wusste, dass Kommi damit recht haben musste. Er schaffte es auf wundersame Weise, die Nachrichten aller ihrer Konkurrenten mitzuverfolgen, die Tageszeitungen und Webnews zu lesen und dennoch tadellose Arbeit abzuliefern. Vielleicht hatte er das gemeint, als er mal gesagt hatte, er sei mit seinem Job verheiratet.
»Kannst du daraus was machen? Morgen liefere ich euch dann bestimmt was Packendes. Wie ist es denn heute gelaufen?«
»Ganz gut«, sagte er nicht wirklich begeistert. »Es war natürlich die erste Meldung, auch wenn es nicht viel Neues gab. Keine Topnews heute. Die kommen dann morgen. Mann, hast du ein Glück, dass du in den Norden fahren durftest. Diese verdammte Asche liegt wie ein Albtraum über der Stadt. Seit du weg bist, ist es noch schlimmer geworden. Der Abend ist richtig düster und unheimlich. Wie eine Sonnenfinsternis mitten im Sommer. Fast wie in der Hölle.«
25 . Kapitel
Südisland,
ein Jahr vor dem Leichenfund
»Du hättest deine Großmutter kennenlernen sollen«, sagte die alte Katrín, die mir an einem wuchtigen Holztisch in ihrem kleinen Haus in Landeyjar gegenübersaß.
Das liegt doch auf der Hand, dachte ich, lächelte ihr aber freundlich zu. Wir saßen in ihrem Wohnzimmer, falls man das ein Wohnzimmer nennen konnte. Das Haus war so klein, dass die Küche und das Wohnzimmer aus einem Raum bestanden. Im ersten Stock befände sich der Schlafbereich, hatte sie mir erzählt. Das Haus war gut geheizt, fast zu gut, denn alle Fenster waren geschlossen und die Hitze erdrückend.
Katrín war Oma Ísbjörgs beste Freundin.
Ihre Jugendfreundin und auch eine entfernte Verwandte von mir.
Inzwischen war sie über achtzig. Im selben Alter wie meine Großmutter, wenn der Krebs sie nicht so früh geholt hätte.
Wir saßen am Fenster, ich blickte ab und zu aufs Meer, in Richtung Westmännerinseln. Draußen war es sehr stürmisch, obwohl Sommer war. »Hier ist immer Wind«, hatte die alte Frau gesagt.
»Ihr hättet euch gut verstanden, darauf kannst du Gift nehmen«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Du erinnerst mich an sie.«
»Ach ja?«, fragte ich höflich, obwohl ich das schon oft gehört hatte.
»Ja, du erinnerst mich an sie«, wiederholte Katrín. Draußen war es hell, dennoch hatte sie eine große Kerze angezündet, die in der Mitte des Tisches stand. Die Kerze verbreitete eine behagliche Stimmung. Dieses kleine Haus hatte eine gute Atmosphäre.
Ein altes Holzhaus, gemütlich und gewiss voller Geschichten und Erinnerungen.
»Wir saßen oft hier an diesem Tisch. Stell dir nur vor! Wir waren jung und hübsch. Das Haus ist schon lange im Besitz meiner Familie. Länger als die ältesten Leute sich erinnern können. Zumindest länger als ich mich erinnern kann, und ich habe weiß Gott ein gutes Gedächtnis.«
»Und womit habt ihr euch beschäftigt? Damals gab es ja noch kein Fernsehen.«
»Kein Fernsehen, nein, darauf kannst du Gift nehmen. Das hat mich noch nie groß interessiert. Ich habe gar keinen Fernseher.« Sie machte eine kurze Pause und sagte dann: »Wir haben uns unterhalten, manchmal Karten gespielt, zu zweit oder zu mehreren. Wir waren hier auf dem Land ein paar Freundinnen, jedenfalls am Anfang, zwei unserer besten Freundinnen zogen nach Reykjavík, aber wir blieben hier.« Sie seufzte.
»Was habt ihr gespielt?«, fragte ich.
»Meistens Mau-Mau. Kennst du das?«
»Nie gehört.«
»Ihr jungen Leute sitzt ja nie beisammen und spielt, wie wir früher. Zu viel Fernsehen.« Sie runzelte die Stirn.
Ich grinste verschämt. Ich hatte der alten Frau noch gar nicht erzählt, dass ich beim Fernsehen arbeitete.
»Was für eine Frau war meine Großmutter?«
»Eine gute Frau«, sagte Katrín ohne lange nachdenken zu müssen. »Du erinnerst mich an sie.«
Dann fügte sie hinzu: »Sie war blitzgescheit und warmherzig. Eine Frau, der man vertrauen konnte.«
Ich schwieg, wollte mehr wissen. Nach einer kurzen Pause sprach Katrín weiter. »Sie las viel. Wir lasen früher alle viel. Saßen abends oft mit den Freundinnen zusammen und lasen gemeinsam. Deine Großmutter wollte nicht alleine im Dunkeln sitzen. Sie hatte ein bisschen Angst vor der Dunkelheit«, sagte die Alte verschmitzt.
»Angst vor der Dunkelheit? Habt ihr denn an Geister geglaubt? Düstere Abende und lange Wege zwischen den Höfen, da erwachen die alten Volksmärchen doch bestimmt zum Leben.« Plötzlich befand ich mich in der vertrauten Rolle der Reporterin, die versucht,
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