Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
Elías konnte es kaum erwarten, diese schreckliche Mietswohnung in Siglufjörður loszuwerden. Sobald der Tunnel fertig war, würde er ausziehen. Aber die Wohltätigkeitsarbeit wollte er nicht drangeben. Der Verein war perfekt, um Schwarzgeld in Umlauf zu bringen.
Das Taxi rollte weiter. Dichter Verkehr in beide Richtungen. Elías hatte ein paar ausgediente Busse gesehen, die dermaßen mit Menschen vollgestopft waren, dass ein paar Passagiere sich außen an den Wagen hängten, um nicht zurückbleiben zu müssen.
Die Hitze war erdrückend, und man konnte die Rückfenster nicht herunterkurbeln.
Elías saß schon seit einer halben Stunde im Auto. Die erste Nacht hatte er in der Hauptstadt Kathmandu verbracht und war dann am nächsten Morgen zu seinem Ziel, einer Kleinstadt auf dem Land, geflogen. Normalerweise war er nicht ängstlich, musste sich aber eingestehen, dass der Inlandsflug mit der kleinen Maschine ihm ein bisschen Angst eingejagt hatte.
Der Taxifahrer hupte unentwegt, drehte sich gelegentlich zu Elías um und zuckte mit den Achseln. Er konnte nichts machen.
Vielleicht war es Glück im Unglück, dass Elías das Fenster nicht öffnen konnte, denn bei diesem Verkehr war die Luft bestimmt stickig und verpestet. Wenn er den Fahrer richtig verstanden hatte, gab es irgendwo eine Baustelle und eine Straßensperrung, weshalb sich der Verkehr staute.
Ging er ein zu großes Risiko ein? Für fremde Männer, die er kaum kannte, auf einen anderen Kontinent zu reisen? Nur um eine Frau abzuholen und nach Europa zu bringen? Über einen Kontaktmann hatten sie ihr ein Visum verschafft. »Das ist ein gutes Business. Du wirst es nicht bereuen«, hatte einer der Männer auf Englisch zu ihm gesagt. Er hatte durchblicken lassen, dass Elías nicht mehr viele solche Reisen machen müsste, sondern für größere Aufgaben bestimmt sei und andere auf die anstrengenden Reisen schicken könnte.
Dies war ein Test, und er wollte sich bewähren und von der langen Reise nicht zu sehr nerven lassen.
Langsam fuhren sie an einem belebten Markt vor einer roten Ziegelsteinmauer vorbei. Auf kleinen Karren stapelten sich bunte Früchte, es herrschte ein geschäftiges Treiben, und Verkäufer schwatzten mit ihren Kunden, unbeeindruckt von dem Verkehrslärm.
Der Taxifahrer beschleunigte das Tempo, der Verkehr schien sich ein wenig zu lichten. In der Ferne tauchten weitere Ziegelsteinhäuser auf, große, mächtige Bäume und immer wieder riesige Reklametafeln mit englischsprachiger Werbung für europäische Biersorten.
Elías hätte jetzt nichts gegen ein eiskaltes Bier gehabt.
Je länger sie fuhren, desto weiter lagen die Häuser auseinander. Einige waren sehr baufällig.
Vielleicht tat er der armen Frau ja nur einen Gefallen. Rettete sie aus dieser Armut. Allerdings wusste sie nicht, was sie in Europa erwartete. Sie hatte keine Ahnung, womit sie ihr Geld verdienen sollte.
Aber das war ihm im Grunde egal. Das ging ihn nichts an.
Eine fremde Frau vom anderen Ende der Welt. Er war bereit, sie zu opfern, um voranzukommen. Ja, und nicht nur bereit, sondern er freute sich sogar darauf.
Elías stand mit dem Mädchen und dessen Familie vor einer Ansammlung von Häusern. Sie hatten ihn hineingebeten, aber er hatte abgelehnt. Dazu hatte er weder Lust, noch Zeit.
Er war ungeduldig, wollte schnellstens wieder zum Flughafen, zurück nach Kathmandu und dann nach Hause, sobald wie möglich.
Das Mädchen war zweifellos sehr hübsch. Sie würden zufrieden mit ihr sein.
Nahm diese Verabschiedungszeremonie denn gar kein Ende? Sein Blick fiel auf eine Frau, offenbar die Mutter des Mädchens. Er sah Tränen und Trauer.
Verdammt nochmal, man kann auch alles übertreiben.
Er ließ seine Gedanken schweifen, während er wartete. Dachte darüber nach, dass sie ihre Familie wahrscheinlich nie wiedersehen würde, ließ das aber nicht wirklich an sich heran. Die Welt konnte hart sein, das wusste er aus bitterer Erfahrung.
Das Mädchen hatte sich nun von allen Familienmitgliedern verabschiedet, außer von seiner Mutter.
Und das hatte schon ewig gedauert …
Nun wandte sie sich ihrer weinenden Mutter zu und wollte sie umarmen. Da fasste Elías sie an der Schulter, so höflich wie möglich, und sagte ihr, sie würden das Flugzeug verpassen.
Das Mädchen zuckte zusammen, tränenüberströmt, nickte und folgte ihm zum Taxi.
Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, sie hatten genug Zeit, aber alles war besser als eine weitere Umarmung.
Sie stand
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