Todesnacht: Thriller (German Edition)
dass es ihm was ausmacht. Er ist jetzt auch an einem besseren Ort. «
» Heißt das, dass er tot ist? «
» Seit dem Frühjahr. Er ist in der Blüte seiner Jahre gestorben. «
» Redest du eigentlich immer so? In der Blüte seiner Jahre? «
» Das hat der Priester bei seiner Beerdigung gesagt. Ich war mit meiner Mom dabei. Mein Dad hat gesagt, dass Toby Mahlers Opa ihm so was von scheißegal wäre, darum ist er nicht hingegangen. Die Kirche hat auch einen Rollstuhleingang, er hätte also hingehen können. Aber er hat gesagt, es wäre ihm scheißegal. «
Harlan fand dieses Kind mehr als nur ein bisschen seltsam. Ob Tiff mit elf wohl auch so gewesen war? Er glaubte es nicht.
» Das Haus steht leer « , fuhr Tabitha fort. » Es ist in der Kendall Point Road, ganz am Ende. Tobys Mom hat gesagt, dass sie es nicht verkaufen können und dass sie das verdammte Ding vielleicht einfach abfackeln sollten. Es sieht dort sowieso aus wie auf einer Müllhalde. Bis auf mich und Toby geht dort nie jemand hin. «
Hörte sich so an, als wäre es genau das Richtige. » Weiß sonst noch jemand, dass du ab und zu dort hingehst? «
» Bloß Toby. «
» Und meinst du, er verrät es jemandem? «
» Ich glaube nicht. Er geht dort hin, um Gras zu rauchen, und er will ganz bestimmt nicht, dass jemand davon erfährt. «
» Ist er so alt wie du? «
» Er ist zwölf. «
» Und raucht Gras? Wo hat er das denn her? «
» Er klaut es sich von seiner Mom. Sie raucht das ständig. «
» Hast du’s auch schon mal probiert? «
» Bloß einmal. Hat mir aber nicht geschmeckt. «
» Wie weit ist es? «
» Wie weit ist was? «
» Das Haus. «
» Ein paar Kilometer. Normalerweise fahre ich mit dem Rad. «
Die Ablenkung schien ihr gutzutun, und vielleicht hatten sie mittlerweile auch genügend Abstand zwischen sich und die Hunde gebracht. Genug, um ihnen zumindest ein bisschen Zeit zu verschaffen. » Was meinst du, kannst du vielleicht eine Weile selber laufen? «
Sie nickte, also setzte er sie ab, und sie gingen schweigend nebeneinanderher. Irgendwann schob sie eine Hand in seine. In der anderen hielt sie immer noch Harold.
» Hat Tiff dich auch geliebt? « , wollte sie wissen.
» Ich denke schon. Wir wollten zusammen weggehen. « Das war nur eine kleine Lüge, dachte Harlan. Immerhin hatten sie darüber geredet.
» Raus aus diesem Drecksloch? «
» So was in der Art. «
Sie gingen Hand in Hand weiter, bis die Sonne vollständig aufgegangen war. Sie mieden die Straßen, so gut es ging. Manchmal ließ es sich nicht verhindern. Harlan hatte Angst, dass womöglich jemand anhielt und anfing, Fragen zu stellen, aber die wenigen Autos, die ihnen begegneten – darunter auch ein Streifenwagen der State Police – fuhren weiter, ohne sie zu beachten.
41
Montag, 24. August 2009, 04.51 Uhr
Eastport, Maine
Maggie fuhr von der Perry Road zum Hafen, um Luke Haskell zu erwischen, bevor der an diesem Morgen wieder auf Hummerfang ging. Im Osten war am Himmel lediglich eine winzige Andeutung von rosiger Dämmerung zu erkennen, doch im Hafen wimmelte es bereits von Hummerfischern in wasserdichten orangefarbenen Overalls. Einer der jüngeren Fischer dirigierte Maggie zu Pike Stoddards Boot am Ende des Anlegers. Hummerkäfige aus grünem Maschendraht stapelten sich im Heck. Ein Mann mit Halbglatze saß im Ruderhaus und nippte an einem Kaffeebecher.
» Luke Haskell? « , rief Maggie ihm zu.
» Nicht da. « Er zog die Silben in die Länge, wie es für die Leute im Nordosten von Maine charakteristisch war.
» Sie sind nicht Luke? «
» Nein. «
» Wissen Sie, wo er ist? «
» Nein. «
» Schläft er normalerweise nicht an Bord? «
» Doch. «
» Aber heute ist er nicht da? «
Der Mann schien sich die Frage ernsthaft durch den Kopf gehen zu lassen, dann erwiderte er: » Kann ihn nirgendwo sehen. «
Das würde eine langwierige Angelegenheit werden.
» Sind Sie Lukes Heckmatrose? «
» Ja. «
» Haben Sie einen Namen? «
Sie rechnete fast damit, dass die Antwort wiederum Ja lauten würde. Aber er überraschte sie. » Walter « , sagte er. » Und wer sind Sie? «
» Also gut, Walter, ich bin Kriminalpolizistin. Detective Margaret Savage. « Sie schob ihre Jacke zurück, damit er die goldene Dienstmarke an ihrem Gürtel sehen konnte. » Ich muss Luke ein paar Fragen stellen. Meinen Sie, dass er bald auftauchen wird? «
» Ich hoffe es. Würde gerne loslegen. Das wäre schon der zweite Tag in Folge, an dem er sich nicht blicken lässt.
Weitere Kostenlose Bücher