Todesnacht: Thriller (German Edition)
gab.
Ihre neue Patientin blickte dem davonfahrenden Auto nach. Emily sah, dass die junge Frau trotz des warmen Abends am ganzen Leib zitterte. Entweder stand sie unter Schock, oder sie hatte fürchterliche Angst.
» Kommen Sie mit « , sagte Emily. » Ich würde mir Ihr Gesicht gerne etwas genauer ansehen. «
Sie hielt ihr die Tür auf. Die Frau trat ein. Emily folgte ihr, und die hölzerne Fliegengittertür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Dann brachte sie ihre immer noch namenlose Patientin in eines der Untersuchungszimmer und knipste das Licht an.
Unter dem harten Schein der Neonleuchten sah ihr Gesicht noch schlimmer aus als draußen. Eindeutig Anfang zwanzig, dachte Emily. Ungefähr eins dreiundsechzig groß, sportliche Figur, blasse Haut. Sie trug eine eng anliegende Designerjeans und weiße Sandalen, deren Riemen mit silbernen Knöpfen verziert waren. Um ihren Hals lag ein schmales Goldkettchen mit einem Anhänger in Form eines Seesterns, in dessen Mitte ein Diamant oder vielleicht ein Zirkon prangte. Dazu trug sie ein schwarzes T-Shirt mit der weißen Aufschrift » The Killers « . Unter dem Schriftzug waren die rot umrandeten Silhouetten von vier Musikern mitsamt Instrumenten zu erkennen. Emily wusste nicht genau, wer oder was The Killers waren. Irgendeine unbekannte Rockband vermutlich. Oder eine bekannte. Für sie war das nicht von Bedeutung. Sie hörte überwiegend Mozart und Beethoven.
Die junge Frau trug einen kleinen grünen Rucksack auf dem Rücken. Emily bat sie, den Rucksack auf einen Stuhl zu legen und sich auf die Liege zu setzen.
» Hatten Sie einen Unfall? « , fragte sie, während sie das Gesicht der Patientin behutsam nach Knochenbrüchen abtastete. » Ist sonst noch jemand verletzt worden? Braucht vielleicht noch jemand Hilfe? «
Augenhöhle, Wangenknochen und Stirn schienen intakt zu sein. Die Kiefer ebenfalls. Aber um ganz sicher zu sein, wollte sie sie röntgen.
» Nein « , erwiderte die junge Frau leise, aber mit fester Stimme. » Es war kein Unfall, und außer mir ist niemand verletzt worden. Zumindest nicht so, wie Sie glauben. « Sie zuckte zusammen, als Emily das geschwollene linke Lid anhob und mit einem Ophthalmoskop das Auge untersuchte. Sie stellte Blutungen sowohl im Weiß des Auges als auch in den inneren Bereichen des Lides fest, aber keine ernsthaften Verletzungen.
Emily tupfte die gespaltene und geschwollene Oberlippe mit einem Desinfektionsmittel ab und untersuchte dann den Mund der Frau.
» Also gut, dann sagen Sie mir jetzt, was passiert ist. Wer hat Ihnen das angetan? «
» Das spielt keine Rolle. «
Emily runzelte die Stirn. » Aber selbstverständlich spielt das eine Rolle. « Sie betastete einen losen Schneidezahn. » Sie sollten zu einem Zahnarzt gehen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis dieser Zahn hier ausfällt. Haben Sie einen Zahnarzt? «
» Nein. «
» Ich gebe Ihnen nachher ein paar Telefonnummern mit. Aber jetzt müssen Sie mir verraten, wer Sie so zugerichtet hat. «
» Wie gesagt, das spielt keine Rolle. Deswegen bin ich nicht hier. «
Emily legte die Stirn in Falten. » Nein? Und warum sind Sie dann hier? «
Die junge Frau holte tief Luft. » Weil ich schwanger bin und das Baby so schnell wie möglich loswerden muss. «
Emily musterte sie. » Ich nehme keine Abtreibungen vor, falls Sie das meinen. «
» Das weiß ich. Aber ich habe gehört … also, mein … « Die junge Frau unterbrach sich, als suchte sie nach einer passenden Umschreibung. » Mein Bekannter hat gesagt, dass Sie … dass Sie mir Tabletten geben könnten, die dann eine … ich weiß auch nicht … eine Fehlgeburt verursachen oder so. «
Emily legte den Kopf schief. » Tatsächlich? Und wer genau war dieser Bekannte, der Ihnen das verraten hat? «
» Einfach nur ein Bekannter. «
Emily seufzte. So kamen sie nicht weiter. » Also gut. Wie kommen Sie darauf, dass Sie schwanger sind? «
» Ich habe meine Periode nicht bekommen. Zum allerersten Mal. Sonst kommt sie immer pünktlich. «
» Haben Sie einen Schwangerschaftstest gemacht? «
» Ja. Und der war positiv. «
Emily warf einen Blick auf den Bauch der jungen Frau. Wenn sie tatsächlich schwanger war, dann noch nicht lange. Vielleicht war sie deshalb verprügelt worden? Von einem Freund, der sich nicht gerade darüber gefreut hatte, dass er Vater wurde?
» Wie heißen Sie? « , wollte Emily wissen. » Wo wohnen Sie? «
» Das habe ich doch schon gesagt: Es spielt keine Rolle. «
» Und ich habe Ihnen
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