Todesnähe
heißen Wälder und Sümpfe von Vietnam gestapft war, mit zwei Zehen weniger ins Reservat zurückkam. Nach allem, was er erlebt hatte, erschien ihm das Leben hier plötzlich wie das Paradies, obwohl es das wahrhaftig nicht war. Zufällig wurden gerade in der Woche, als er nach Hause kam, ein paar hundert Hektar Land nördlich vom Reservat wegen Steuerrückständen zwangsversteigert. Wann war das noch, Claude?»
«Fünfundsiebzig. Der Staat hatte kein Interesse an ein paar lumpigen Hektar Land mitten in der Wildnis, wo man auch noch lauter verrückte Indianer mit Schusswaffen und selbstgebranntem Gin als Nachbarn hat. Aber Billy sah das anders. Er hat sich gedacht, wenn das hier für ihn das Paradies ist, kann es das doch auch für andere Interessierte und Freizeitindianer werden, wenn man vorher ein bisschen aufräumt. Er kam auf die Idee, ein Jagd-Resort zu gründen, wegen des hohen Wildaufkommens. Das ist übrigens heute noch hoch.»
Der Chief nickte, und die Erinnerung ließ ihn lächeln. «Also haben Billy und seine Brüder zusammen das Hotel gebaut und dazu noch ein paar Jagdhütten, mit Holz aus der Gegend. Und anschließend hat der gerissene Hund angefangen, Werbeanzeigen in verschiedenen Sportzeitschriften zu schalten und Jagdfreizeiten unter echt indianischer Leitung anzubieten. Den Fremden machte es offensichtlich wenig aus, das Reservat gleich nebendran zu haben. Billy meinte sogar, viele wären extra deswegen gekommen, weil die verarmte Indianersiedlung ihrem Männerurlaub ein zusätzliches Element von Abenteuer und Risiko gab. Ihm war egal, was sie dachten, solange sie gutes Geld bezahlten und das Resort ihren Freunden weiterempfahlen.»
«Ganz schön schlaues Kerlchen», bemerkte Magozzi und hielt dabei nach weiteren drohenden Augen zwischen den Bäumen Ausschau.
«Es war ein Geniestreich», sagte Claude. «Nach ein paar Jahren waren Hotel und Jagdhütten fast das ganze Jahr voll mit Sportjägern, Schneemobilfahrern und Anglern, und mehr als die Hälfte der Einwohner im Reservat arbeitete für Billy. Das Geld floss, aber die Veränderungen im Reservat, die kamen so langsam voran wie ein einbeiniges Gürteltier, das kann ich Ihnen flüstern.»
«Stimmt», bekräftigte der Chief. «Wenn man einem mittellosen, ausgebrannten Volk plötzlich Geld für ehrliche Arbeit zahlt und nicht mehr nur Almosen, dann stellen sie mit diesem Geld merkwürdige Dinge an. Für jemanden, der jahrzehntelang in einer Papiertüte gehaust hat, ist ein Pappkarton der Inbegriff von Luxus. Es hat fast zwei Generationen gedauert, diese Einstellung zu ändern.»
«Gibt es Billy Eight-Toes denn noch?», wollte Gino wissen.
«Nein. Der arme alte Billy hat den Krieg einfach nicht aus dem Kopf gekriegt – wer schafft das schon? Und eines Abends hat er sich halb um den Verstand gesoffen und seinen neuen Pick-up vor einen Baum gesetzt.»
«Wie traurig.»
Claude bog erneut ab, diesmal auf eine Schotterpiste, die so schmal war, dass die Zweige der Bäume zu beiden Seiten den Wagen streiften. Der Chief zuckte die Achseln. «Traurig für Billy, aber für sein Volk hat er viel getan. Sein Erbe …»
«Ähm …» Magozzi tippte hektisch mit dem Finger an die Fensterscheibe. «Ähm …»
Der Chief drehte sich zu ihm um. «Was ist denn, Detective?»
Magozzi deutete weiter zum Fenster, brachte aber keinen Ton heraus.
Der Chief folgte Magozzis Finger mit dem Blick und lächelte breit. «Ich werd verrückt! Halt an, Claude. Wir haben einen Mukwa zu Besuch, extra zur Begrüßung unserer Freunde.»
«Ich seh’s.» Claude hielt an und schaltete bis auf die Nebelleuchte alle Lichter aus.
«Ach du Scheiße!», hauchte Gino, den Blick starr auf die massige Gestalt gerichtet, die sich jetzt aus dem Wald löste und direkt auf sie zukam.
«Das ist ja mal ein Trumm», sagte der Chief leise. «Hast du den Bärentöter mit, Chimook?»
«Der Teufel soll mich holen, natürlich nicht. Ich wollte unseren Detectives ja keine Angst machen.»
Magozzi und Gino schauten schweigend und mit offenem Mund aus dem Fenster auf den riesigen Bären, der ganz nah an den Rand der mickrigen Straße herangekommen war und nun dort herumschnüffelte. Die große schwarze Nase bebte, die misstrauischen Augen blieben starr auf den Geländewagen gerichtet. Vielleicht waren es ja auch hungrige Augen. Oder mordlüsterne.
«Der … der ist aber nah», stammelte Gino.
«Wunderschön, was?» In Claudes Stimme schwang Bewunderung mit. «Schauen Sie sich nur das Fell
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