Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
von nun an als förderwütige Mentorin eines hochbegabten naturwissenschaftlichen
Genies auf, obwohl er außer in Biologie nur mit mäßigen schulischen Leistungen aufwarten
konnte. Ihr Sohn ermöglichte ihr nun das, wonach sie sich zeitlebens gesehnt hatte:
Endlich im Rampenlicht zu stehen und sich bewundern zu lassen.
Mit ihrem
leidenschaftlichen Engagement drängte sie ihn zur Teilnahme an ›Jugend forscht‹,
wo er doch tatsächlich auf Landesebene den Sieg einheimste. Mehrfach führte sie
Fernseh- und Zeitungsjournalisten ihren Sohn wie einen Tanzbären vor. Ja, sie schaffte
es sogar, den jungen Spinnenexperten in einer Kinderausgabe von ›Wetten, dass …?‹
unterzubringen.
Der Spider
löffelte sein Spaghettieis, bezahlte die Rechnung und machte sich auf den Nachhauseweg.
Als er in einem Hochhaus auf dem Betzenberg seine Wohnungstür aufsperrte und ein
Paar Damenschuhe im Flur stehen sah, legte sich für einen Moment Schwermut über
sein Gemüt. Aber nur einen winzigen Augenblick. Dann holte er aus und kickte die
Schuhe in Richtung einer Mülltüte, die er eigentlich vorhin bei der Altkleidersammelstelle
des Roten Kreuzes hatte abgeben wollen.
»Du blöde
Schlampe«, zischte er wütend den Halbschuhen hinterher, »haust einfach ab und lässt
mir auch noch deinen Scheiß zurück.« Er stopfte die Damenschuhe in die Tüte, verschloss
sie und lehnte sie ans Türblatt, damit er sie ja nicht noch einmal vergessen konnte.
Nun erinnerte
nichts mehr in dieser Wohnung daran, dass hier zwei Jahre lang eine Frau gemeinsam
mit ihm gelebt hatte. Er hatte Dagmar übers Internet kennengelernt. Sie war sehr
einsam und ausgesprochen dankbar gewesen, dass er sie nicht wie die vielen anderen
Männer vor ihm gleich abblitzen ließ, als er ihren markanten Gehfehler bemerkte,
den sie bei ihrem Posing im Internet verschwiegen hatte.
Zudem war
sie auch sonst wahrlich keine Schönheit, sondern bezüglich ihres äußeren Erscheinungsbildes
deutlich von der Natur vernachlässigt worden. Aber ihn störte das nicht, schließlich
konnte er sich, wenn er die Schönheit der Natur genießen wollte, ja an der Ästhetik
seiner achtbeinigen Lieblingstiere ergötzen.
Und dann
war sie vor zwei Wochen urplötzlich verschwunden. Morgens fand er auf dem Küchentisch
einen Zettel, auf dem ›Ich hab es in diesem Horrorkabinett einfach nicht mehr ausgehalten!!!‹
geschrieben stand.
Zwar hatte
sie in der Vergangenheit manchmal eine Andeutung gemacht, dass ihr der Spinnentick
ihres Freundes ein wenig auf den Wecker ging, aber mit solch einer harschen Reaktion
hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Zumal er auf ihre Kritik an dem in seiner
Wohnung angeblich vorhandenen ›Spinnen-Gruselkabinett‹, wie sie wörtlich sagte,
reagiert hatte.
Zähneknirschend
hatte er im Wohnzimmer mehrere großformatige Fotografien abgehängt, zwei Terrarien
in sein Arbeitszimmer gebracht und zudem die riesige Plastikspinne mit den herausnehmbaren
farbigen Innereien in einem Schrank verschwinden lassen. Aber dieses Entgegenkommen
hatte ihr offenbar nicht genügt.
»Scheißweiber«,
fluchte er, als die Espressomaschine zu röhren begann.
Er gab reichlich
Zucker in die mit einer goldgelben Crema gekrönte Brühe und nippte an der dickwandigen
kleinen Tasse. Danach schlurfte er ins Wohnzimmer, fläzte sich auf die Ledercouch
und beobachtete eine tagaktive Luchsspinne dabei, wie sie ein kleines Insekt zuerst
mit ihrem Gift auflöste und anschließend aufsaugte.
Nach einem
kurzen Mittagsschläfchen setzte er sich an seinen Schreibtisch und fuhr den Laptop
hoch. Als Hintergrundbild erschien eine tiefschwarze Atrax Robustus, die giftigste
Spinne der Welt. Er besaß fünf Exemplare der Sydney-Trichternetzspinne. Sie lebten
in einem Terrarium, das über dem Kopfende des Doppelbetts postiert war, und bewachten
die Schlafenden.
4
Ohne jegliche Vorwarnung schlug
Kurt so heftig an, dass allen der Schreck in die Glieder fuhr. Für seine Verhältnisse
flog der bärige, tollpatschige Familienhund förmlich durch die Küche hinaus in den
Flur. Dann ein hochtöniges Quietschen und Jaulen, wodurch den Tannenbergs schlagartig
klar wurde, dass gerade irgendein weiteres Familienmitglied die Wohnung betreten
haben musste.
Aufgrund
langjähriger Erfahrungswerte dauerte es nun ein, zwei Minuten, bis der Betreffende
im Türrahmen der Küche auftauchte, denn so lange forderte Kurt seine Streicheleinheiten
mindestens ein.
»Wow, siehst
du spitzenmäßig aus«, rief Dr.
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