Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
nein, falsch geraten. Die saarländischen
Kollegen haben dafür eine ganz andere Erklärung parat.« Um die Spannung noch ein
wenig zu steigern, ließ er wieder einen Moment verstreichen, bevor er das Kaninchen
aus dem Hut zauberte: »Sie gehen davon aus, dass sich der mögliche Entführer Zugang
zu den Wohnungen der Frauen verschafft und dort über die jeweilige Original-E-Mailbox
die Nachricht verschickt hat.«
»Wie kommen
die Kollegen denn auf so etwas?«, fragte Tannenberg.
Geiger grunzte
und schüttelte den Kopf. »Ganz einfach: Dieser Unbekannte hat in jeder der betreffenden
Wohnungen eine rote Rose auf der Tastatur zurückgelassen.«
»Wirklich?«,
fragte Sabrina.
»Ja.«
»Sonstige
Täterspuren?«, hakte Tannenberg nach.
»Nichts,
rein gar nichts. An den Rosen war absolut nichts zu finden, keine Fingerspuren,
keine DNA, nichts. Die Experten meinen, dieser Typ muss einen Ganzkörperanzug mit
Überschuhen, Handschuhen und Kopfhaube getragen haben.«
»Wie die
Spurensicherung«, meinte der Leiter des K 1.
»Oder ein
Chirurg«, ergänzte Michael.
Sabrina
stützte ihr Kinn auf die offene Hand, seufzte und warf ihrem Mann einen betroffenen
Blick zu. »Das ist ja richtig unheimlich. Bei der Vorstellung, dass jemand in unser
Haus eindringt, darin herumschleicht und sich an unseren PCs zu schaffen macht,
ohne dass wir etwas davon mitkriegen, läuft es mir eiskalt den Rücken runter.«
»Es gibt
doch diese Verrückten, diese Fremdwohner«, sagte Tannenberg. »Ich hab mal einen
Bericht über die gelesen. Diese Irren dringen in fremde Wohnungen oder Häuser ein,
von denen sie wissen, dass deren Besitzer in Urlaub sind.«
Sabrina
nickte. »Davon hab ich auch schon mal gehört.«
»Diese Einbrecher
schlafen dann in den Betten der Leute, legen sich in ihre Badewanne, ziehen ihre
Kleider an, fressen die Kühlschränke leer und halten sich im Weinkeller schadlos.
Und wenn sie Gelegenheit dazu haben und die entsprechenden Passwörter und EC-Karten
finden, plündern sie zum Dank auch noch die Konten der unfreiwilligen Gastgeber.«
»So was
Gemeines!«, empörte sich die junge Kommissarin.
»Ja, Sabrina,
das sehe ich genauso«, bestätigte Tannenberg. »Aber das ist nur die eine Variante
der Spezies ›Fremdwohner‹. Die andere ist eigentlich noch viel unheimlicher, denn
von deren Eindringen bekommen die allermeisten Wohnungseigentümer überhaupt nichts
mit. Angeblich gibt es Internetseiten, auf denen sich diese durchgeknallten Typen
mit ihren vermeintlichen Heldentaten brüsten. Für die scheint es so etwas wie Extremsport
zu sein, wenn sie zeitweise in die Identität eines anderen schlüpfen. Zu leben wie
dieser Mensch, zu riechen wie dieser Mensch …«
Wolfram
Tannenberg schüttelte sich wie ein nasser Eisbär. »Bäh, ist diese Vorstellung eklig.
Der absolute Kick besteht wohl darin, sich einige Zeit in einer fremden Wohnung
aufzuhalten, ohne dabei auch nur die geringsten Spuren zu hinterlassen. Mit Kopfkameras
filmen die sich dabei, wie sie fremde Bücher lesen, aus fremden Tassen trinken,
fremde Unterwäsche an- und ausziehen, baden und noch einige andere, bedeutend widerlichere
Dinge tun.«
»Also in
deinem Schlafzimmer würden mir bestimmt einige Sauereien einfallen«, bemerkte Geiger
mit einem dreckigen Grinsen in Sabrinas Richtung.
»Das kann
ich mir gut vorstellen, du elende Pottsau«, brüllte Michael, packte Geiger am Kragen
und zerrte ihn mit dem Rücken auf den Besuchertisch. Tannenberg konnte ihm gerade
noch rechtzeitig in den Arm fassen, sonst hätte der vulgäre Kriminalhauptmeister
wohl dringend einen Kieferchirurgen benötigt.
6
»So, mein liebes, kleines, süßes
Mäuslein, ab jetzt darfst du ganz alleine spazieren gehen«, säuselte der Spider.
Mit geübtem
Griff fing er eine weiße Maus ein, packte sie am Schwanz und zog sie aus ihrem Terrarium,
in dem gut zwei Dutzend ihrer Artgenossen panisch durcheinanderjagten. Er durchquerte
sein laborartiges Arbeitszimmer und ließ die Maus über einem bedeutend größeren
Spinnen-Terrarium herumbaumeln, das mit Rindenmulch, einem Ast und einer Korkröhre
bestückt war.
»Schau mal,
wie sich der gute alte Theo schon auf dich freut«, flötete er, während er den Deckel
aufklappte. Seine weiche, melodische Stimme veränderte sich plötzlich wie auf Knopfdruck
und war mit einem Mal hart und schneidend. »Ich glaube, der arme Kerl ist ziemlich
hungrig«, spie er förmlich seine Schadenfreude aus.
Die männliche
Theraphosa blondi, bei
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