Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
Handys. Alles klar?«
Mertel nickte.
Der Spurenexperte
besorgte sich in seinem Labor einen batteriebetriebenen modernen Dietrich, den man
neudeutsch als Pickset bezeichnet und mit dem mühelos und in Sekundenschnelle ein
handelsübliches Schloss geöffnet werden kann.
Tannenberg
chauffierte seinen Kollegen mit einem Zivilfahrzeug ins Musikerviertel und hielt
direkt vor Kollmenters Haus. Mertel stieg aus und machte sich sogleich an der Eingangstür
zu schaffen. Es dauerte kaum mehr als einen Wimpernschlag, bis das Schloss mit einem
leisen Knacken seinen Widerstand aufgab.
Unterdessen
hatte Tannenberg gewendet und das Auto in eine Haltebucht gesteuert, von der aus
er die Gegend gut überblicken konnte. Als er in den Rückspiegel schaute, war sein
Kollege bereits im Haus verschwunden.
Während
sich der Kriminaltechniker die dünnen Latexhandschuhe überstreifte, lauschte er
in den Flur hinein. Außer dem monotonen Ticken einer Pendeluhr vernahm er keine
weiteren Geräusche. Ein würziger Geruch nach feuchter Erde, Waldboden und Rindenmulch
stieg ihm in die Nase.
Auf Zehenspitzen
schlich er durch einen Flur, der von Altpapierbergen, gelben Mülltüten, Jacken und
Schuhen zu einem schmalen Pfad verengt wurde. In der Küche stapelten sich auf der
Arbeitsplatte und dem Tisch ungespültes Geschirr, leere Dosen, Fastfood-Verpackungen
und alte Zeitungen. Selbst auf dem stark verschmutzten Fliesenboden war Unrat verstreut.
Dieser Anblick
und der penetrante Geruch von vergorener Milch verscheuchte Mertel aus der Küche.
Angewidert drückte er die Tür ins Schloss und ging ins Wohnzimmer. Dort kam er aus
dem Staunen nicht mehr heraus, denn dieser circa 25 Quadratmeter große Raum hatte
kaum etwas mit dem zu tun, was ein Normalbürger mit dem Begriff ›Wohnzimmer‹ in
Verbindung brachte.
Das Ambiente
erinnerte ihn an die Reptilienabteilung des Frankfurter Zoos, die er erst vor Kurzem
mit seinen Enkeln besucht hatte. Überall standen Terrarien und Aquarien herum, in
denen sich unzählige Echsen, Spinnen, Schlangen, Skorpione, Wasserschildkröten und
Futtertiere tummelten.
Aber nicht
nur das Wohnzimmer, auch das angrenzende Arbeitszimmer sowie zwei Räume im Obergeschoss
waren mit allen möglichen Tierbehausungen, Reptilien, Spinnentieren und den zur
Aufzucht und Versorgung notwendigen Materialien regelrecht vollgestopft.
Mertel kehrte
in das Arbeitszimmer des kriechtierbegeisterten Briefträgers zurück und setzte sich
an den Schreibtisch. Er war mit Fachzeitschriften, Büchern und kleinen Pappschachteln
völlig überladen. Mitten in diesem heillosen Durcheinander thronte ein alter Computertower
mit einem antiquarisch anmutenden Röhrenbildschirm, an dem unzählige Klebezettel
mit Terminen befestigt waren.
Der Kriminaltechniker
ging äußerst behutsam zu Werke und bemühte sich, in Kollmenters Haus keinerlei Spuren
der ungenehmigten Durchsuchungsaktion zu hinterlassen. Schließlich konnte nicht
ausgeschlossen werden, dass Kollmenter, falls es sich bei ihm tatsächlich um den
gesuchten Gewaltverbrecher handelte, diese illegale Polizeiaktion vorausgesehen
und in seinem perfiden Plan berücksichtigt hatte.
Während
der Computer hochfuhr, spürte Mertel plötzlich in seiner Brusttasche den Vibrationsalarm
seines Handys. ›Wolf-Nervsack ruft an‹, blinkte es auf dem Display.
»Was ist
denn los, Wolf?«, flüsterte er so leise, als wolle er den Mittagsschlaf seiner betagten
Mutter nicht stören.
»Verdammter
Mist«, fluchte Tannenberg. »Kollmenter ist gerade an der Straßenecke aufgetaucht.
Aber keine Sorge, Karl, er ist noch weit genug weg. Ich fange ihn ab und bringe
ihn ins K 1. Dir bleibt also genügend Zeit, um alles auszukundschaften. Hast du
schon etwas entdeckt?«
»Nee, außer
einer Müllhalde und einer Unmenge ekliger Viecher habe ich noch nichts Besonderes
gefunden.«
»Welche
Viecher?«
»Schlangen,
Skorpione …«
»Auch Spinnen?«,
warf Tannenberg dazwischen.
»Klar, auch
alle möglichen Spinnen.«
»Gut, vielleicht
haben wir ja doch den richtigen Fisch an der Angel. Wie sieht’s mit dem Material
aus, das er für die Spinnennetze verwendet haben könnte?«
»So weit
bin ich noch nicht. Ich schaue mir gerade seinen Computer an. Danach inspiziere
ich seinen Keller und die Garage. Vielleicht finde ich da etwas Verdächtiges.«
»Eine Heißklebepistole
zum Beispiel.«
»Zum Beispiel«,
echote Mertel.
»Okay, dann
lass dich mal nicht weiter stören. Ich melde mich rechtzeitig, bevor ich den
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