Todesopfer
unmöglich?«
Mir wurde allmählich kalt, deshalb ging ich wieder weiter. »Nein, nicht unmöglich.«
Sie bat mich, meine Worte zu wiederholen. Ein paar Sekunden lang war sie ganz weg, dann hörte ich sie wieder.
»Haben Sie was über Stephen Gair rausgefunden?«, erkundigte ich mich.
»Ich war gestern bei ihm zu Hause. Hübsches Haus. Hab seine neue Frau kennengelernt und ein Kind, das sie angeblich aus einer früheren Beziehung hat.«
»Okay.« Mir war nicht ganz klar, worauf sie hinauswollte.
»Ein kleiner Junge. Noch nicht ganz zwei Jahre alt. HeiÃt Connor Gair. Stephen hat ihn adoptiert.«
»Nett von ihm. Und â¦Â«
»Sieht seinem neuen Stiefdad echt ähnlich. Und die beiden scheinen sehr aneinander zu hängen.«
Ich konnte nicht erkennen, wieso das im Entferntesten relevant
sein sollte. Stephen Gairs Familienleben interessierte mich nicht. Ich war ein bisschen zu sehr damit beschäftigt, über mein eigenes nachzudenken â vielmehr über mein nicht vorhandenes.
»Er hat knallrotes Haar, tolle helle Haut und ein ganz feines, zartes Gesichtchen. Seine Mutter dagegen ist ziemlich dunkel.«
Ich überlegte einen Moment. Dann dämmerte es mir. »O Mann!«, stieà ich hervor.
»Sozusagen.«
Es fing wieder an zu knistern, deshalb sagte ich ihr, ohne genau zu wissen, ob sie mich überhaupt hörte, dass ich sie am Abend anrufen würde. Dann ging ich weiter nach Uyeasound, das aus ein paar um einen Naturhafen herum verstreuten Häusern bestand.
Das Café war leicht zu finden. Ein Wandererpärchen saà an einem der Tische, ein Mann im Anzug an einem anderen. Damit waren noch drei Tische frei. Ich suchte mir einen aus und lieà mich nieder. Eine ältere Frau streckte den Kopf aus einer Tür im hinteren Teil des Raums, schaute sich um, schien mich nicht zu bemerken und verschwand wieder. Ich zog einen Kugelschreiber aus der Jackentasche, griff nach einer der Papierservietten auf dem Tisch und begann herumzukritzeln. Und nachzudenken.
Connor Gair, ein hellhäutiger Zweijähriger. In Anbetracht dessen, wie sehr mich das Thema Babys beschäftigte, war es nicht verwunderlich, dass ich, seit ich wusste, dass die Ermordete ein Kind zur Welt gebracht hatte, darüber nachgrübelte, was mit dem Baby geschehen war. Hatte man es ebenfalls getötet, fragte ich mich oft, oder lebte es noch, irgendwo, und wusste nicht, was seiner Mutter widerfahren war? Hatte Dana dieses Baby jetzt gefunden?
Nun, falls Stephen Gair seinen eigenen Sohn groÃzog, den Melissa ihm geboren hatte, ihn jedoch als das Kind seiner neuen Ehefrau ausgab, dann musste er etwas mit Melissas Tod zu tun gehabt haben. Daran führte kein Weg vorbei.
»Schreiâm Sie ans Trowievolk?«
Ich fuhr zusammen. Die Kellnerin war zurückgekommen und
schaute auf die Serviette hinunter. Ich hatte mehrere von den Runen gezeichnet, die mir von dem Hinkelstein her in Erinnerung geblieben waren.
»Oh«, sagte ich, »das sind Runen. Von dem Stein beim Lunda Wick.«
Sie nickte. »Aye, die Trowiezeichen.«
Der Shetlanddialekt kann manchmal ziemlich unverständlich sein, und die Inselbewohner übertreiben damit durchaus, um Besucher zu verwirren.
»Verzeihung, aber was ist Trowie?«
Sie grinste mich an und zeigte schadhafte Zähne. Ihre ehemals blasse Haut war vom Wind rot, und ihr Haar vermittelte den Eindruck von Stroh. Sie sah aus wie sechzig, doch sie konnte auch fünfundvierzig oder fünfzig sein.
»Die Trows«, antwortete sie, »âs graue Volk.«
Das war mir neu. »Ich dachte, das sind Runen. Wikingerrunen.«
Sie nickte und schien das Interesse zu verlieren. »Aye. âs heiÃt, sie kommâ ausâm Nordland. Was darf âs denn sein?«
Ich bestellte ein Sandwich und Kaffee, und die Frau verschwand wieder in ihrer Küche. Trow, Trowie? Rasch schrieb ich mir den Namen auf, buchstabierte nach Gefühl. Ich hatte dieses Wort noch nie gehört, doch es konnte durchaus von Bedeutung sein. Was ich für Wikingerrunen gehalten hatte, hatte sie Trowiezeichen genannt. Wer waren die Trows? Und wieso sollten sie ihre Zeichen in Melissas Körper ritzen?
Ich wartete darauf, dass sie wieder erschien, doch das Café füllte sich allmählich. Als sie meine Bestellung brachte, knallte sie sie mir hin und wandte sich einem anderen Tisch zu. Ich könnte später noch einmal
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