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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Badewanne. Dann hob ich Danas linken Arm an. Er war blass und dünn wie der eines Kindes, und aus dem sechs Zentimeter langen Schnitt, der sich diagonal über ihr Handgelenk zog, quoll kein Blut mehr. Ihre Haut fühlte sich kalt an, aber weich, so weich wie die eines Babys. Ich wusste, dass ich keinen Puls fühlen würde. Sanft legte ich ihren Arm ab und tastete an ihrem Hals. Dort war nichts zu spüren. Nichts, was auch nur für den leisesten Hoffnungsschimmer Anlass gegeben hätte. Ein Blick in ihr Gesicht hatte mir das verraten, doch ich hatte es schon vorher gewusst. Von dem Augenblick an, als ich gegen die Tür ihres Hauses hämmerte und keine Antwort bekam, hatte ich es gewusst.

    DI Dunn hielt mich erneut fest. Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich konnte die gekachelten Wände von Danas Badezimmer nicht mehr erkennen oder das Fensterbrett mit den bunten Meerestieren aus Glas darauf, oder die Tür. Nur die weiße Wanne, Dana selbst, wie eine wunderschöne Statue, und das Blut.

24
    Als ich wieder zu mir kam, war mein erster Gedanke, dass ich mich noch immer in dem Haus befand und DI Dunn sich über mich beugte. Dann begriff ich, dass die Augen eher schiefergrau als blaugrau waren und das Haar dunkelblond war, ohne einen Hauch von Rot.
    Â»Wie spät ist es?«, brachte ich heraus.
    Gifford schaute auf seine Armbanduhr. »Zwanzig nach acht«, antwortete er.
    Â»Was haben Sie mir gegeben?«, wollte ich wissen.
    Â»Diazepam«, antwortete er. »Sie waren ziemlich durch den Wind, als man Sie hergebracht hat. Hab mir eine Weile echt Sorgen gemacht.« Diazepam ist ein mildes Sedativum. Wenn er die Wahrheit sagte, würde ich noch ein paar Stunden etwas benommen sein, ansonsten aber wäre alles okay. Ich beschloss, die Probe aufs Exempel zu machen, indem ich mich aufsetzte. Schwerer als erwartet.
    Â»Immer mit der Ruhe.« Er drehte die Kurbel, die das Kopfende des Klinikbettes aufrichtete. Dann griff er nach meinem Handgelenk. Erschrocken schaute ich hinunter, doch es war heil und unversehrt. Gifford hielt es eine halbe Minute fest, während er meinen Puls fühlte. Dann maß er meinen Blutdruck, leuchtete mir mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen und hielt mehrere Finger hoch, die ich zählen sollte. Ich wartete, bis er fertig war und meinen Zustand für unbedenklich erklärte; zwar sei ich mehr oder weniger fix und fertig, im Großen und Ganzen jedoch gesund.
    Â»Wo ist sie?«, fragte ich.
    Er sah verwirrt aus. »Na ja, ich denke, sie ist unten. Tora, versprechen Sie mir, dass Sie keinen –«

    Â»Ich verspreche es«, sagte ich und meinte es ernst. Ich hatte nicht vor, Dana aufzusuchen. Dana war tot, war irgendwo hingegangen, wohin ich nicht zu folgen bereit war.
    Â»Es tut mir leid«, sagte Gifford.
    Ich schwieg.
    Â»Man weiß wohl niemals wirklich, was im Kopf eines anderen vorgeht.«
    Â»Wahrscheinlich nicht.«
    Â»Sie hat unter enormem Druck gestanden. War schon sehr lange unglücklich gewesen.«
    Â»Ich weiß. Ich wünschte nur …«
    Â»Sie hätten nichts tun können. Wenn Selbstmörder sich entschlossen haben, kann nichts sie aufhalten. Das wissen Sie doch.«
    Ich nickte. Das wusste ich.
    Â»Ich habe mit Duncan gesprochen. Er kommt zurück, aber vor morgen früh kriegt er kein Flugzeug mehr.«
    Ich sah ihn an. »Vielleicht … vielleicht fahre ich für ein paar Tage zu meinen Eltern. Was meinen Sie, wäre das okay?«
    Wieder nahm Gifford meine Hand. »Ganz bestimmt«, versicherte er. »DI Dunn muss mit Ihnen reden. Ich habe ihm gesagt, er soll bis morgen warten. Ich behalte Sie über Nacht hier.«
    Wieder nickte ich. »Danke.«
    Gifford kurbelte mein Bett wieder nach unten, und ich schloss die Augen.
    Â 
    Die meisten Menschen mögen mich nicht besonders. Ich weiß nicht, warum, obwohl ich mir diese Frage im Lauf der Jahre oft genug gestellt habe. Was genau habe ich an mir, was finden sie so wenig liebenswert? Ich komme nicht dahinter, und niemand hat es mir jemals gesagt. Alles, was ich weiß, ist, dass es mir nie besonders leicht gefallen ist, Freunde zu finden und sie zu behalten.
    Ich erinnere mich an einen Vorfall auf der Grundschule: Meine Klasse voller Achtjähriger war an diesem Tag außer Rand und Band, und Mrs. Williams, die Lehrerin, drohte, dass sie den schlimmsten Störenfried an ein leeres Einzelpult setzen würde, ganz

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