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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Tod zu tun hatten?
    Nach einem knappen Kilometer hörten wir, was ich befürchtet hatte – das Geräusch eines Autos. Ich ließ Charles dicht an den Straßenrand treten; hinter mir folgte eher Henry als Helen unserem Beispiel. Vor uns sah ich Scheinwerfer. Charles begann herumzuzappeln, so dass ich die Zügel kürzer nahm. »Ganz ruhig«, murmelte ich. »Halten Sie ihn ruhig«, rief ich über die Schulter nach hinten. Das Auto war fast neben uns; wir hörten, wie jäh Gas weggenommen wurde, als der Fahrer uns bemerkte und aufs Bremspedal trat. Der Wagen hielt nicht an, sondern fuhr weiter in westliche Richtung.
    Ein rasches beruhigendes Wort zu Helen, und wir waren wieder unterwegs. Bald erreichten wir die Stelle, an der wir auf eine kleinere Straße ausweichen konnten. Jetzt ritten wir auf der B9075 nach Weilsdale, fast genau in Richtung Norden. Die Gefahr, einem dahinrasenden Auto zu begegnen, wurde geringer, nicht jedoch das Risiko, gehört und erkannt zu werden. Wir mussten das Dorf rasch durchqueren, und ich wollte einen Trab riskieren. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Helens Steigbügel kurz genug verschnallt waren, ermahnte ich sie, die Absätze unten zu behalten und mehr Fühlung mit den Zügeln aufzunehmen. Dann trieb ich Charles vorwärts.
    Henry schob sich neben uns. Ich warf einen Blick zu Helen und bedachte sie mit einem Lächeln, von dem ich hoffte, dass es sie ermutigte. Sie sei früher mal ein wenig geritten, aber fürs Galoppieren und Springen reiche es nicht, hatte sie gemeint. Doch sie legte enormes Durchhaltevermögen an den Tag.
    Â»Wo wollen wir eigentlich hin?«, wollte sie wissen, und musste rufen, um das Hufgetrappel zu übertönen. Es war ein gutes Zeichen, dass sie sich sicher genug fühlte, um etwas zu sagen.

    Â»Wir reiten nach Norden, durchs Kergordtal nach Voe«, antwortete ich. »Eine Freundin von mir hat dort ein paar Pferde. Sie wird die beiden hier mit auf ihre Weide stellen, bis ich dafür sorgen kann, dass sie abgeholt werden.«
    Â»Reiten wir den ganzen Weg bis dahin auf der Straße?«, fragte sie hoffnungsvoll. Wir kamen gerade an der Mühle von Weilsdale vorbei, und im Haus brannte Licht.
    Â»Nein. Wir bleiben noch etwa einen Kilometer auf dieser Straße und dann noch mal anderthalb Kilometer auf einem Feldweg. Danach geht’s querfeldein.«
    Es herrschte Schweigen, während sie darüber nachgrübelte, was es bedeutete, im Stockdunkeln querfeldein zu reiten.
    Â»Sind Sie da schon mal hingeritten?«
    Ich bejahte. Es wäre wohl nicht allzu zweckdienlich, hinzuzufügen, dass ich jenes eine und einzige Mal am helllichten Tag mit kerngesunden Pferden und einem erfahrenen, ortskundigen Führer unterwegs gewesen war.
    Â»Wie lange werden wir brauchen?«
    Â»Ein paar Stunden.«
    Â»Wir hätten uns was zu essen mitnehmen sollen.«
    Auch ich war völlig ausgehungert. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte. Nur dass ich es doch tat – es war schätzungsweise vor zwölf Stunden im Bus gewesen: ein Sandwich mit Huhn und Mayonnaise. Jetzt bereute ich meine Überempfindlichkeit Danas Kühlschrank gegenüber.
    Vor uns ragten dunkle Umrisse auf, selten genug in dieser Landschaft, um fremdartig zu wirken. Es waren Bäume: die Kergord-Schonungen, insgesamt etwa fünfunddreißig Quadratkilometer groß und vielleicht die einzigen Wälder auf den Shetlands. Ganz bestimmt die einzigen, die ich jemals gesehen hatte.
    Das Geräusch, das wir machten, verwandelte sich von Hufgetrappel auf Asphalt ins Rascheln trockener Blätter. Als ich das letzte Mal hier entlanggeritten war, hatte mir mein Führer erzählt, dass der Waldboden im späten Frühjahr von kleinen weißen Blumen
übersät sei. Ich versuchte, sie zu erkennen, doch die Wolkendecke und das Laubdach der Bäume machten dies unmöglich. Flügelschlagen und Krächzen über uns ließen beide Pferde zusammenzucken. Krähen flogen auf und schimpften, weil wir sie geweckt hatten.
    Als wir den Feldweg erreichten, ließ ich beide Pferde Schritt gehen, weil wir um ein Viehgatter herumreiten mussten. Der kurze Trab hatte sie ruhiger werden lassen, und sie hielten ein gleichmäßigeres Tempo ein.
    Die Hügel um uns herum stiegen an und warfen ihre Schatten über das Tal, während die Nacht dunkler wurde. Wieder

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