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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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schwang mich wieder in den Sattel und trabte los, um sie einzuholen. Im Schritt ritten wir weiter, bis wir meiner Ansicht nach außer Hörweite waren. Als ich mich umwandte, war Jogginghose wieder im Haus verschwunden, doch in einem der Fenster im Obergeschoss brannte noch Licht. Gleich darauf ging es aus.
    Â»Hätten Sie mich nicht zum Inspector machen können?«, fragte ich.
    Sie warf mir einen Blick zu und schien sich ein Lächeln abzuringen. »Nachtpatrouille«, sagte sie. »O Gott, Dana wäre hin und weg gewesen.«
    Und dann klappte sie zusammen. Ihre Schultern sackten nach unten, und sie sank vornüber, bis sie an Henrys Mähne lehnte. Ihr Körper zuckte unter heftigem Schluchzen, und Henry protestierte mit einem Schaudern. Charles, der Nervösere von beiden, wieherte und machte Anstalten, zur Seite zu springen. Ich brachte ihn zur Ruhe, beugte mich dann zu Helen hinüber und nahm ihr die Zügel aus den Händen. Im Schritt setzten wir unseren Weg fort; ich führte Henry, während Helens Schluchzen langsam verebbte. Nach einer Weile hörte sie auf. Ich schaute zurück; sie wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab und sah aus, als wäre sie um zehn Jahre gealtert.
    Â»Tut mir leid«, murmelte sie.
    Â»Nein, mir tut es leid. Ich hätte Sie da nicht mit hineinziehen dürfen. Sie können dem doch unmöglich gewachsen sein.«
    Sie drückte den Rücken durch. »Ist Dana gestern ermordet worden?«
    Ich dachte sehr gründlich nach, ehe ich ihr antwortete. Mittlerweile spielte ich nicht mehr »Die kleine Detektivin«. Das hier war real, und sehr, sehr ernst. »Ja«, sagte ich. »Ich glaube schon.«

    Â»Ich bin all dem gewachsen. Kann ich meine Zügel wiederhaben?«
    Eine Weile ritten wir schweigend weiter. Zu beiden Seiten ragten die Hügel hoch über uns auf, tiefschwarze Schatten vor einem dunklen Himmel. Wir waren so weit vom Meer entfernt, wie es auf den Shetlandinseln nur geht – also nicht weit, höchstens fünf oder sechs Kilometer –, doch es schien, als hätte sich die Landschaft verändert, als wir das Tal betraten: Der Geruch dort erinnerte mehr an Land als an das Meer, man roch die modrige Feuchtigkeit des Torfs, das satte Aroma frischer Vegetation, und der Wind hatte ein wenig von seiner Schärfe eingebüßt.
    Hin und wieder tauchte der Mond hinter einer Wolke auf, und in seinem Licht funkelte der Boden, als wäre er mit Glasscherben übersät. Wir ritten über vom Land eisern festgehaltene Feuersteine.
    Dann erreichten wir den ersten von mehreren kleinen Bächen, die wir überqueren mussten. Als ich Charles hinübertrieb, reckte er den Kopf vor und beugte sich hinunter, um zu trinken. Henry tat es ihm nach.
    Â»Kann man das Wasser trinken?«, erkundigte sich Helen.
    Ich war auch ziemlich durstig. Der Wein, den wir zuvor getrunken hatten, zeigte seine dehydrierende Wirkung.
    Â»Na ja, die beiden scheinen es jedenfalls zu denken«, erwiderte ich und stieg ab. Helen folgte meinem Beispiel, und alle labten sich an dem eiskalten Wasser, das ein wenig nach Torf schmeckte. Helen wusch sich das Gesicht, ich spritzte mir jede Menge Wasser über den Kopf und fühlte mich sofort besser. Allerdings hatte ich immer noch einen Mordshunger.
    Aus dem Augenwinkel sah ich etwas auf uns zukommen; etwas, das zu groß war, um ein Schaf zu sein. Ich schrie auf, jede Faser meiner Nerven gespannt. Sofort war Helen neben mir. Dann entspannten wir uns beide. Aus der einen Gestalt wurden mehrere, und sie hielten alle auf uns zu. Es waren einheimische Shetlandponys, ein Dutzend oder mehr. Ich hatte vergessen, dass in diesem Tal eine große Herde lebte.

    Pferde sind ungeheuer soziale Geschöpfe, und die Herde, die zwei fremde Artgenossen entdeckt hatte, war gekommen, um sie zu begrüßen. Es schien sie nicht im Mindesten zu stören, auch zwei Menschen vorzufinden. Zwei von den mutigeren fingen an, an meinen Beinen zu schnuppern, und eines ließ sogar zu, dass Helen es streichelte.
    Â»Wissen Sie, das könnte Schule machen«, bemerkte ich und beobachtete, wie Henry seine Nüstern an denen einer Grauschimmelstute rieb, die nicht mehr als einen Meter Stockmaß aufwies.
    Â»Was könnte Schule machen?«, fragte Helen.
    Â»Berittene Polizei auf den Shetlands«, antwortete ich. »Hier gibt es ein Riesenterrain ohne Straßen, und es besteht kein Mangel an

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