Todesopfer
Hof aufgewachsen. Mit Pferden. Lebensmittelhygiene war etwas, weswegen wir uns nicht allzu groÃe Sorgen machten.«
»Wenn ich noch eins finde, gebe ichâs an Sie weiter. Was machen Sie da eigentlich?«
»Sinnlos auf ein Blatt Papier glotzen und hoffen, dass ich die Worte irgendwann vor Morgengrauen entziffern kann«, erwiderte ich.
»Sie sollten schlafen«, meinte sie. »Wahrscheinlich gehören Sie immer noch ins Krankenhaus.« Sie beugte sich zur Seite und spuckte abermals aus, weniger manierlich diesmal. »ScheiÃe, was ist das für ein Zeug?«
»Vorm Sterben frisst man ein Pfund Dreck«, bemerkte ich.
Diesmal lieà sie die Hände in den Schoà sinken und drehte sich zu mir um. »Was?«
»Noch mal Dad. Das hat er von seinem Vater. So was nennt man Wiltshire-Weisheiten. Als ich klein war, habe ich das wörtlich genommen â Sie wissen schon, hab gedacht, wenn ich exakt ein Pfund Dreck gegessen habe, dann warâs das, Feierabend, obwohl ich erst sieben war und kerngesund. Eine Zeit lang hat mir das echt Angst gemacht. Ich hab Obst so lange geschrubbt, bis überall Druckstellen dran waren. Einmal hab ich sogar versucht, Bleiche auf einen Keks zu kippen, der mir runtergefallen war.«
Helen starrte mich an. Ich blickte zu Boden und kam mir lächerlich vor.
»Alles okay?«, fragte sie behutsam, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie mit einer ehrlichen Antwort leben könnte.
Ich nickte, ohne aufzuschauen.
»Sie dürfen sich ruhig ausheulen. Hab ich doch auch gemacht.«
»Ich weià nicht genau, ob ich dann wieder aufhören könnte«, brachte ich heraus. Helen sagte nichts, doch ich konnte spüren, wie sie mich musterte. »Duncan will mich verlassen«, sagte ich. »Er hat jemand anderen kennengelernt. Eigentlich sollte ich dankbar sein, wenn man bedenkt, was alles â¦Â«
Helen machte Anstalten, sich von ihrem Stuhl zu erheben und zu mir herüberzukommen.
»Wann können Sie einen Hubschrauber anfordern?«, fragte ich.
Einen Augenblick lang verharrte sie schweigend, dann setzte sie sich wieder. »In einer Stunde oder so. Nicht mehr lange.«
Ich versuchte, mich auf die Papiere vor mir zu konzentrieren. Nach einer Weile gelang es mir, die Tränen wegzublinzeln und sie durchzulesen.
Gleich zu Beginn von Danas Ermittlungen hatte ich ihr einen Ausdruck der Liste mit den Entbindungen auf den Inseln gegeben. Sie hatte das alles in ihren Laptop eingegeben, mein Original jedoch behalten, und genau das lag jetzt vor mir. Mehrere Einträge waren mit pinkfarbenem Leuchtstift markiert. Die vier hervorgehobenen
Geburten hatten sich alle zwischen März und August 2005 auf Tronal ereignet. Ein paar Stunden zuvor hatte ich genau das Gleiche getan.
Wieder fielen mir die Initialen KT auf. Sieben derartige Einträge. Was hatte Gifford noch gesagt, wofür sie standen? Keloid-Trauma? So, wie er es mir erklärt hatte, fand ich es in gewisser Weise logisch, doch dieser Terminus war mir noch nie begegnet. Ich fragte mich, ob die betreffenden sieben Entbindungen noch etwas anderes gemeinsam hatten, und überprüfte den jeweiligen Zeitpunkt der Niederkunft, fand jedoch nichts AuÃergewöhnliches: Sie waren ziemlich gleichmäÃig über den Zeitraum von sechs Monaten verteilt. Dann verglich ich die Entbindungsorte. Drei Babys waren im Franklin Stone Hospital zur Welt gekommen, ein weiteres in einer anderen Klinik in Lerwick, eins auf Yell, eins auf Bressay und eins auf Papa Stour. Das Geburtsgewicht der Kinder variierte, doch es befand sich bei allen im Normalbereich; wenn überhaupt, so waren sie ziemlich schwer. Ein paar hatte man per Kaiserschnitt geholt, doch der Rest waren normale vaginale Entbindungen gewesen. Es handelte sich bei allen Kindern um Jungen. Ich ging die Einträge noch einmal durch. Nicht ein einziges Mädchen war darunter. Eine Männerrasse.
Mir reichte es. Ich lieà mich auf dem Stroh zurücksinken und zog meine Jacke enger um mich. Mein Bewusstsein machte etwa im selben Moment schlapp wie meine Augen.
Â
»Tora.«
Wollte nicht aufwachen. Wusste, dass es sein musste.
»Tora!« Diesmal mit mehr Nachdruck. Wie Mum, wenn ich Schule hatte. Ging nicht anders. Ich stemmte mich hoch.
Helen beugte sich über mich. Die Tür der Sattelkammer stand offen, und drauÃen war es hell. Helen hatte beide Taschen gepackt und sich eine über jede
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