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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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sich ihre Dienststelle befand. In ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich standen ihr bestimmt mehr Hilfsmittel zur Verfügung, und sie würde besser auf mich aufpassen können – falls (oder vielmehr wenn ) Dunn und seine Bande mich holen wollten.
    Nach einer Weile verging die Übelkeit, und ich riskierte es, die Augen wieder zu öffnen. Weitere zehn Minuten vergingen, eine Viertelstunde, und ich fühlte mich wohl genug, um zu beobachten, wie die Küstenlinie an uns vorbeizog. Das Meer funkelte in der Morgensonne, und der weiße Schaum sah aus wie Silber.
    Ich hatte Duncan zum ersten Mal am Meer gesehen. Er war surfen gewesen und kam gerade aus dem Wasser, das Surfbrett unter dem Arm, das nasse Haar glänzend schwarz, die Augen blauer als der Himmel. Ich hatte mich nicht an ihn herangewagt, hatte gedacht, er sei für mich völlig unerreichbar; doch später an jenem Abend war er es, der mich fand. Ich hatte mich für den größten Glückspilz der Welt gehalten. Und was war ich jetzt? Es gab ein Dutzend Fragen, auf die ich wirklich keine Antworten haben wollte, doch ich konnte sie einfach nicht aus meinem Kopf verbannen. Wie weit reichte Duncans Beteiligung an dem Ganzen? Hatte er von Melissa gewusst? Hatten wir das Haus gekauft, damit er ein Auge auf das Grundstück haben und dafür sorgen konnte, dass nichts die Ruhe des anonymen Grabes am Hügel störte? Ich konnte es nicht glauben, wollte es nicht glauben, doch …
    Bald näherten wir uns Dundee, und ich machte mich auf ein jähes Absacken gefasst, mit flauem Magen und ploppenden Ohren. Stattdessen bog der Pilot scharf ab und flog nach Westen. Wir ließen Dundee hinter uns und begannen, höher zu steigen. Gleich darauf begriff ich, warum. Die Bergkette der Grampian Mountains lag direkt unter uns.
    Wahrscheinlich habe ich bereits deutlich gemacht, dass ich kein
besonderer Fan von Schottland bin, schon gar nicht von der nordwestlichen Ecke des Landes. Doch selbst ich muss zugeben, dass, sollte es irgendwo einen schöneren Ort geben als das schottische Hochland, ich ihn noch nie gesehen habe. Ich betrachtete die unter uns dahingleitenden Gipfel, manche mit Schnee bedeckt, andere mit Heidekraut, die glitzernden Saphire der Lochs und Wälder, so dicht und dunkel, dass man hätte glauben können, darin auf Drachen zu stoßen, und allmählich fühlte ich mich besser. Aus dem scharfen Schmerz zwischen meinen Schulterblättern wurde ein dumpfes Ziehen, und meine Hände zitterten nicht mehr. Als wir erneut das Meer sehen konnten, setzte der Hubschrauber endlich zur Landung an.
    Helen öffnete die Augen, als wir sechs Meter über dem Boden waren. Wir setzten auf einem Fußballplatz auf. Fünfzig Meter entfernt stand ein blau-weißer Polizeiwagen. Mein Herz begann heftig zu schlagen, doch Helen blieb ungerührt. Sie brüllte dem Piloten etwas zu, dann sprang sie hinaus. Ich folgte ihr, und wir rannten zu dem Polizeiauto hinüber. Der Constable auf dem Fahrersitz ließ den Motor an.
    Â»Morgen, Nigel«, sagte Helen.
    Â»Morgen, Ma’am«, grüßte er. »Wohin zuerst?«
    Â»Zum Hafen, bitte«, antwortete Helen.
    Wir fuhren durch eine kleine, aus grauem Stein erbaute Stadt, die vage vertraut wirkte. Als wir im Hafen ankamen, wurde mir klar, wo wir uns befanden. Vor Jahren hatten Duncan und ich einmal bei einer Flottenkreuzfahrt zu den Whisky-Brennereien der Highlands mitgemacht. Die einwöchige Sause hatte hier ihren Anfang genommen, und ich erinnerte mich an einen wunderschönen Abend. Das schien so lange her zu sein.
    Helen gab dem Fahrer ein paar Anweisungen, und wir fuhren an den Häusern entlang, die den Hafen säumten. Dicht vor dem Kai hielten wir an, ohne dass ich einen Grund dafür erkennen konnte. Wir stiegen aus. Helen führte mich auf eine der kleinen Buden zu, die in den meisten Seestädten am Hafen zu finden sind.

    Â»Essen Sie Krustentiere?«, erkundigte sie sich.
    Â»Normalerweise nicht zum Frühstück«, entgegnete ich.
    Â»Vertrauen Sie mir. Mögen Sie Krustentiere?«
    Â»Ja, schon«, sagte ich und dachte im Stillen, was soll’s, einmal ordentlich kotzen, dann ist wenigstens die Übelkeit weg.
    Helen deutete auf eine Bank mit Meerblick, und ich setzte mich. Ich konnte den säuerlichen, leicht ranzigen Geruch von sonnengetrocknetem Seetang riechen und die Überreste des gestrigen Fangs. Und irgendetwas

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