Todesopfer
finanziert von Menschen, die sich schlechter Gesundheit, aber praller Brieftaschen erfreuten. So etwas passierte, allerdings in fernen Ländern mit seltsam klingenden Namen, wo Menschenleben billig waren, besonders die der Armen. Nicht hier. Nicht in GroÃbritannien und ganz bestimmt nicht auf den Shetlandinseln, dem sichersten Wohn- und Arbeitsumfeld im ganzen Vereinigten Königreich.
Renney legte eine kleine Pause ein, bevor er antwortete, und zog kurz seine Notizen zurate.
»Ich würde denken, nein«, sagte er. »Die untere Hohlvene wurde recht säuberlich entfernt. Ebenso die Lungenvenen. Aber der Lungenstamm und die aufsteigende Aorta wurden ziemlich zerhackt. Als hätte sich jemand mehrmals vergeblich daran versucht. Das war keine Organentnahme zur Weiterverwertung. Ich würde auf jemanden mit rudimentären Anatomiekenntnissen tippen, aber kein Arzt.«
»Na, dann bin ich ja aus dem Schneider«, bemerkte Gifford geistreich. Tulloch bedachte ihn mit einem finsteren Blick. Rasch
biss ich mir auf die Innenseite der Lippe, um zu verhindern, dass mir ein Kichern herausrutschte. Ich war nervös, sonst nichts; das hier war wirklich keine Sache, über die man Witze reiÃen konnte.
»Ich habe ein paar schnelle Tests durchgeführt und einen sehr hohen Propofolspiegel in ihrem Blut festgestellt«, fuhr Renney fort. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lag sie tief in Narkose, als es passiert ist.«
»Gott sei Dank«, warf DS Tulloch ein, die noch immer Giftblicke auf Gifford abschoss.
»Wie einfach ist es, an Pro â¦Â«, setzte sie an.
»Propofol«, ergänzte Renney. »Na ja, man bekommt es nicht in der Apotheke, aber es ist ein ziemlich gebräuchliches intravenöses Mittel zur Anästhesieeinleitung. Jeder, der Zugang zu einem Krankenhaus hat, hätte keine besonderen Probleme. Vielleicht jemand aus einem Pharmaunternehmen.«
»Heutzutage kriegt man doch auf dem schwarzen Markt fast alles«, gab Dunn zu bedenken. Er sah Tulloch an. »Bleiben wir beim Wesentlichen.«
»AuÃerdem habe ich Hinweise auf Traumata im Bereich der Handgelenke, der Oberarme und der Knöchel gefunden«, setzte Renney seine Ausführungen fort. »Ich würde sagen, vor ihrem Tod war sie eine ganze Weile gefesselt.«
Ich hatte genug davon, die Knallharte zu spielen, also trat ich vor und setzte mich. Renney fing meinen Blick auf und lächelte. Ich versuchte, das Lächeln zu erwidern, schaffte es jedoch nicht ganz.
»Okay, wir wissen also, wie sie gestorben ist«, meinte Gifford. »Irgendwelche Ideen zum Thema wann?«
Ich beugte mich auf meinem Stuhl vor. Diese Frage hatte meinen Verstand schon, wenn er nicht gerade völlig auf etwas anderes konzentriert war, den ganzen Nachmittag beschäftigt. Ich sollte vielleicht erklären, dass ich, bevor ich mich für das Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe entschied, mit dem Gedanken gespielt hatte, Pathologin zu werden, und mir ein paar Grundkenntnisse auf diesem Gebiet aneignete. Das war, bevor mir klar
wurde, dass der Augenblick des Lebens unendlich viel reizvoller war als der des Todes. Typisch Tora, hatte meine Mum gesagt, immer von einem Extrem ins andere. Eigentlich war sie zutiefst erleichtert gewesen. Jedenfalls hatte ich dank dieser Grundlagen eine etwas genauere Vorstellung vom Verwesungsprozess.
Zuerst die goldene Regel: Die Verwesung beginnt im Augenblick des Todes. Danach kommt es auf Folgendes an: auf den Zustand des Leichnams, seine GröÃe, sein Gewicht, auf Wunden oder Traumata, darauf, wo er sich befindet, ob drinnen oder drauÃen, im Warmen oder in der Kälte, dem Wetter ausgesetzt oder an einem geschützten Ort, auf das Vorhandensein von Aasfressern oder Insekten, darauf, ob ein Begräbnis oder eine Einbalsamierung stattgefunden hat.
Nehmen wir zum Beispiel eine Leiche, die in einem gemäÃigten Klima, wie es auf den Britischen Inseln herrscht, im Wald liegen gelassen wurde. Beim Eintreten des Todes tun sich die inneren chemischen Substanzen und Enzyme des Körpers mit Bakterien zusammen, um den Gewebezerfall einzuleiten.
Vier bis zehn Tage nach dem Tod beginnt der Leichnam zu faulen. Flüssigkeit entleert sich in die Körperhöhlen, und diverse Gase â übelriechend für Menschen, für Insekten jedoch so verlockend wie ein Gourmetmenü â werden produziert. Gasdruck bläht den Leichnam auf,
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