Todesopfer
während junge Maden sich darin austoben, Bakterien verbreiten und durchs Gewebe fetzen.
Nach zehn bis zwanzig Tagen erreicht ein Toter das Stadium der schwarzen Fäulnis. Der aufgedunsene Leichnam fällt in sich zusammen, die ungeschützten Körperteile färben sich schwarz, und er verströmt einen starken Verwesungsgeruch. Körperflüssigkeiten laufen aus und versickern im Boden, und in diesem Stadium haben bereits etliche Generationen von Maden und Larven darin gehaust.
Nach fünfzig Tagen ist meist der gröÃte Teil des verbleibenden Fleisches entfernt worden; der Leichnam ist ausgetrocknet und verströmt dank Buttersäure einen käsigen Geruch. Leichenteile, die Kontakt mit dem Erdboden haben, fermentieren und setzen
Schimmel an. Käfer übernehmen von den Maden die Rolle des Hauptaasfressers, und die Käsefliege hat einen späten Auftritt, um alles wegzuputzen, was an feuchtem Gewebe noch übrig ist.
Ein Jahr nach dem Tod hat der Leichnam das Stadium der trockenen Verwesung erreicht; nur Knochen und Haare sind übrig geblieben. Mit der Zeit verschwinden auch die Haare, von Motten und Bakterien weggefressen, und es bleibt nur das Skelett zurück.
Das ist ein Beispiel. Ein Leichnam, der im Gletschereis der Alpen eingeschlossen und weder dem Sonnenlicht ausgesetzt ist noch von der Gletscherwanderung in Stücke gerissen wird, kann jahrhundertelang unversehrt bleiben. Von einem dagegen, der während des Sommers in New Orleans in einer überirdischen Grabkammer bestattet wird, kann man annehmen, dass er innerhalb von drei Monaten völlig verschwunden ist.
Und dann gibt es noch Torf.
Stephen Renney dozierte. »Ja, genau: wann? Wann ist sie gestorben? Wann wurde sie begraben? Das ist wohl die Eine-Million-Dollar-Frage.«
Hinter mir hörte ich ein scharfes Atemholen und empfand jähes Mitgefühl mit DS Tulloch. Das Ganze schien Stephen Renney ein bisschen zu viel Spaà zu machen. Mir gefiel das nicht und ihr wohl auch nicht.
»Jedenfalls eine sehr interessante Frage, weil der normale Verwesungsprozess völlig ausgehebelt wird, wenn Torf ins Spiel kommt. Sehen Sie, in einem typischen Torfmoor, besonders auf diesen Inseln, haben Sie es mit einer Kombination aus niedrigen Temperaturen und der Abwesenheit von Sauerstoff zu tun â der, wie wir wissen, für das Wachstum der meisten Bakterien unabdingbar ist â, und auÃerdem haben wir die antibiotischen Eigenschaften der organischen Materien im Moorwasser, einschlieÃlich der Huminsäuren.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Sie verstehe, Mr. Renney«, warf DS Tulloch ein. »Wie kann organische Materie die Verwesung verlangsamen?«
Renney strahlte sie an. »Nun, nehmen Sie zum Beispiel Sphagnum, Torfmoos. Wenn die Fäulnisbakterien Verdauungsenzyme ausscheiden, reagiert das Moos mit den Enzymen und immobilisiert sie im Torf. Der Prozess wird abrupt zum Stillstand gebracht.«
»Sie kennen sich ja sehr gut aus, Stephen«, bemerkte Gifford.
Ich schwöre, dass ich Stephen Renney daraufhin erröten sah.
»Na ja, es ist so, in meiner Freizeit betätige ich mich ein bisschen als Hobbyarchäologe. So eine Art Amateur-Indiana-Jones. Die Vielzahl der Fundstellen auf diesen Inseln ist⦠nun, jedenfalls musste ich eine ganze Menge über Torfmoore lernen. Hab ein bisschen darüber nachgelesen, als ich hergezogen bin. Jedes Mal, wenn irgendwo eine Ausgrabung stattfindet, gehe ich hin und melde mich freiwillig.«
Ich hatte einen verstohlenen Blick nach hinten riskiert, weil ich sehen wollte, wie DS Tulloch es aufnahm, dass sich der mausähnliche Stephen Renney mit Harrison Ford verglich. Auf ihrem Gesicht war keine Spur von Belustigung zu sehen.
»Miss Hamilton wird mich bestimmt korrigieren, wenn ich danebenliege«, meinte DI Dunn, worauf ich zusammenfuhr, »aber Nagellack hat es doch schon während des gröÃten Teils des letzten Jahrhunderts gegeben. Sie könnte trotzdem jahrzehntelang dort unten gelegen haben.«
Tulloch warf ihrem Boss einen raschen Blick zu; drei winzige Falten kerbten sich in die Haut zwischen ihren Augenbrauen.
»Nun, nein, das glaube ich nicht«, entgegnete Renney, tatsächlich so, als entschuldigte er sich. »Sehen Sie, auch wenn die Weichteile im sauren Torfmoor sehr gut erhalten bleiben können, für Zähne und Knochen gilt das nicht. In einem Torfmoor wird die anorganische
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