Todesopfer
wunderschöne braune Statue; fast wie eine Bildhauerarbeit in Bronze, die ein wenig von ihrem Glanz verloren hat. Ich ertappte mich dabei, wie ich auf ihren Kopf zustrebte.
Sie muss hübsch gewesen sein, dachte ich, doch es war schwer, das mit Sicherheit zu sagen. Ihre Gesichtszüge waren fein und zart, beinahe vollkommen in ihrer EbenmäÃigkeit. Doch Schönheit ist so viel mehr als Vollkommenheit der Züge; die besondere Mischung aus Farbe, Licht und Wärme, die einem Gesicht Schönheit verleiht, fehlt bei einer Leiche völlig.
Sie hatte sehr langes Haar; so lang, dass es über die Seiten des Rollwagens hinabhing. Es lockte sich zu langen Spiralen, Haar, wie ich es als Kind in meinen Träumen besessen hatte. Allmählich fiel es mir schwer, ihr Gesicht zu betrachten, und ich lieà den Blick an ihrem Körper entlangwandern.
Obgleich ich schon früher bei Obduktionen dabei gewesen war â ein wesentlicher Teil der Berufsausbildung â, hatte ich noch nie ein Mordopfer gesehen. Und selbst wenn, glaube ich nicht, dass irgendetwas mich auf das Ausmaà des Schadens hätte vorbereiten können, den ich hier vor mir sah.
In ihre Bauchdecke hatte Dr. Renney einen Y-förmigen Schnitt gemacht, um ihre inneren Organe untersuchen zu können. Er war grob zugenäht, eine hässliche, entstellende Wunde. Die Verletzungen im Brustbereich waren sogar noch ausgeprägter, doch in diesem Fall war Dr. Renney nicht dafür verantwortlich. Zwischen ihren Brüsten klaffte eine tiefe Wunde von ungefähr ovaler
Form und ungefähr fünf Zentimetern Länge; dort war wohl der stumpfe Gegenstand eingeführt worden. Ich versuchte, mir die Wucht vorzustellen, die es für einen solchen Stoà brauchte, und war froh, dass Dr. Renney uns das mit dem Propofol erzählt hatte. Ein gezackter Riss erstreckte sich von der Wunde senkrecht in beide Richtungen, bis dicht an ihren Hals und fast bis zur Taille hinunter; dort hatte das Aufstemmen des Brustkorbs die Haut zerrissen. Ich hatte eine plötzliche Vision von Händen, rot von Blut, die in sie hineintauchten, narbige Fingerknöchel, die unter der Anstrengung weià wurden, als ihre Rippen unter dem Zug aufzubrechen begannen. Ich schluckte heftig.
Als ich sie gefunden hatte, war der Brustkorb nicht ordentlich geschlossen gewesen. Ich hatte einiges von den Verheerungen gesehen, die dort drinnen angerichtet worden waren, und die Abwesenheit des fehlenden Organs war sofort aufgefallen. Ich neigte dazu, Renney zuzustimmen. Ein auf diese Weise entnommenes Herz konnte nicht wiederverwendet worden sein.
Im Raum war es still geworden. Ich begriff, dass alle auf mich warteten.
»Er ist hier«, sagte Dr. Renney hinter mir. Er hielt eine Edelstahlschale in der Hand und trug sie zu der Arbeitsfläche hinüber, die sich an drei Wänden des Raums entlangzog. Ich folgte ihm. Tulloch stand zu meiner Linken und Gifford ein wenig hinter mir. Ich konnte ihn über meinem rechten Ohr atmen hören. Dunn blieb auf Distanz.
Ich wappnete mich und nahm den Uterus in die Hand. Er war gröÃer und schwerer, als man es bei einer Frau dieser GröÃe erwarten würde. Ich legte ihn auf die Waage. Dreiundfünfzig Gramm. Dr. Renney hielt mir ein Lineal hin, und ich maà die Länge und Breite am breitesten, obersten Teil. Es war bereits ein Einschnitt gemacht worden, und ich öffnete ihn. Die Gebärmutterhöhle war groà und die Muskelschichten dicker und ausgeprägter, als man es bei einer Frau vorfinden würde, die niemals ein Kind ausgetragen hatte. Das Ganze dauerte ungefähr drei Minuten. Als ich mir sicher war, wandte ich mich an Stephen Renney.
»Ja«, bestätigte ich. »Sie ist eine Woche bis zehn Tage vor ihrem Tod niedergekommen. Genauer lässt es sich schwer sagen.«
»Würden Sie mal einen Blick auf ihre Brüste werfen?«, bat er lächelnd, hocherfreut, nachweislich recht gehabt zu haben. Ich schluckte meine Gereiztheit hinunter. Das hier war sein Job, natürlich wollte er gründlich sein.
Ich ging wieder zu dem Rollwagen zurück. Unser Opfer war schlank, doch jetzt, da ich wusste, wonach ich suchte, bemerkte ich ein paar Röllchen Schwangerschaftsspeck um ihre Mitte. Die Bauchdecke sah schlaff aus, und die Brüste wirkten an einer so zierlichen Figur groÃ. Ich beugte mich vor und strich mit den Händen um die rechte; die linke war zu stark beschädigt. Die
Weitere Kostenlose Bücher