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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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eine Weitwinkelfunduskamera für Augenuntersuchungen bei Frühgeburten, pädiatrische Beatmungsgeräte, ein Apparat zur transkutanen Sauerstoffmessung. Mehrere der Geräte gaben alle paar Sekunden leise Pieptöne von sich. Dana hatte recht gehabt. Das hier war vom Feinsten. Ich hatte ja schon in einigen modernen, gut ausgestatteten Einrichtungen gearbeitet, aber eine solche Konzentration hochmoderner Geräte hatte ich noch nie gesehen.
    Â»Tora, dafür haben wir keine Zeit.« Duncan war mir gefolgt, zerrte an mir.
    Zehn Brutkästen standen im Raum. Acht waren leer. Ich ging hinüber, es spielte keine Rolle mehr, ob jemand uns fand. Ich musste es sehen.
    Der Säugling im Brutkasten war ein Mädchen. Es war ungefähr achtundzwanzig Zentimeter lang und wog schätzungsweise knapp drei Pfund. Seine Haut sah rot aus, und der Kopf, der in einem rosafarbenen Strickmützchen steckte, wirkte unnatürlich groß für ihren winzigen, ausgemergelten Körper. Ein dünner, durchsichtiger Schlauch war in beide Nasenlöcher eingeführt und mit Pflasterstreifen auf dem Gesicht fixiert worden. Ein weiterer Schlauch verlief zu einer Ader am Handgelenk.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich die Hand durch die Eingriffsöffnung stecken wollte, um die Kleine zärtlich zu berühren. Wie viel menschliche Berührungen hatte sie in ihrem kurzen Leben wohl schon erlebt?, fragte ich mich. Je länger ich sie ansah, desto größer wurde mein Verlangen, sie in den Arm zu nehmen, sie fest an mich zu drücken und wegzurennen, obgleich mir klar war, dass das ihr Tod wäre.
    Ich ging weiter, zum nächsten Inkubator. Duncan folgte mir; er versuchte nicht länger, mich zurückzuhalten. Dieser Säugling war
ein Junge und sogar noch kleiner als das Mädchen. Er sah aus, als brächte er mit viel Glück ein knappes Kilogramm auf die Waage, doch seine Haut hatte dieselbe fleckig-rote Farbe. Ein Beatmungsgerät atmete für ihn, ein Monitor am Brutkasten zeigte kontinuierlich seine Herztätigkeit an, und eine winzige blaue Maske bedeckte seine Augen, um sie vor dem Licht zu schützen. Noch während ich ihn betrachtete, strampelte er mit einem Beinchen und gab einen leisen, maunzenden Schrei von sich.
    Mir war, als hätte mir jemand einen Dolch ins Herz gestoßen.
    Ich hatte das Gefühl, als ob wir sehr lange dastanden und auf das Baby hinunterstarrten. Neonatalstationen sollten niemals unbesetzt sein; es war nur eine Frage von Minuten, ehe jemand zurückkam, doch ich konnte mich einfach nicht bewegen, außer um hin und wieder zu dem kleinen Mädchen hinüberzublicken. Ich fragte mich, ob sie wohl ebenfalls den Tag zusammen mit Andy Dunn und drei sedierten Frauen im Keller verbracht hatten. Oder vielleicht waren die dafür zuständigen Personen das Risiko eingegangen, sie zu lassen, wo sie waren, hatten es darauf ankommen lassen, dass Helen und ihr Team nicht darauf bestehen würden, eine sterile Säuglingsstation genauer in Augenschein zu nehmen, und dass sie, selbst wenn das doch der Fall gewesen wäre, die Bedeutung dessen, was sie vor sich sahen, nicht erfasst hätten.
    Jetzt wusste ich, wo Stephen Gair seine Babys herbekommen hatte. Weshalb Helen keine Unterlagen zu den Säuglingen hatte finden können, die im Ausland adoptiert worden waren.
    George Reynolds, der Leiter des Sozialamts, hatte seine Unschuld beteuert und behauptet, er und seine Mitarbeiter wären an keinerlei Auslandsadoptionen beteiligt gewesen, hätten keine Genehmigungen erteilt, keinerlei Papiere ausgestellt. Er konnte durchaus die Wahrheit gesagt haben. Die Babys, die Duncan und ich vor uns sahen, würden keine offizielle Genehmigung und keine Dokumente brauchen, um im Ausland adoptiert zu werden, weil sie – in offizieller und legaler Hinsicht – gar nicht existierten.

    Die Schwangerschaft ihrer Mütter war vorzeitig beendet worden, irgendwann zwischen der sechsundzwanzigsten und achtundzwanzigsten Woche. Es waren abgetriebene Föten – die noch am Leben waren.

37
    In den letzten Jahren sind in der medizinischen Betreuung extremer Frühgeburten enorme Fortschritte gemacht worden. Vor noch gar nicht langer Zeit war man davon ausgegangen, dass ein Baby, das in der vierundzwanzigsten Woche geboren wurde, wenige Minuten nach der Geburt sterben würde oder, falls es überleben sollte, schwer behindert wäre. Jetzt hat so ein Kind gute

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