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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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verkrustet.
    Ich bückte mich, um ihn aufzuheben. Etwas von dem Dreck bröckelte ab, ein ordentliches Stück mit einer deutlichen Einkerbung auf einer Seite. Ich setzte mich und zog einen meiner Stiefel aus. Jägerstiefel haben ein ganz typisches Sohlenprofil, und das Stück, das von dem Ring abgefallen war, schien dazu zu passen. Der Ring musste während der letzten Tage an der Sohle meines Stiefels geklebt haben. Als ich vorhin die Treppe hinaufgerannt, oder, noch wahrscheinlicher, hingefallen war, hatte er sich gelöst.
    Ich verspürte eine jähe Panik. Diese Stiefel hatte ich getragen, als ich letzten Sonntag die Leiche fand, doch ich hatte sie ausgezogen,
ehe ich ins Haus gegangen war, um ein Messer zu holen. Das Team von der Spurensicherung hatte die Sportschuhe mitgenommen, gegen die ich sie damals ausgetauscht hatte; die Stiefel jedoch hatte ich vollkommen vergessen und deshalb wahrscheinlich eine wichtige Ermittlung versaut.
    Es ist ihr Ring. Das war es, wonach sie neulich Nacht auf der Wiese gesucht haben.
    Grübelnd saß ich da. Ich wollte wirklich nicht, dass dieser Ring auf irgendeine Weise etwas mit der Frau aus meiner Wiese zu tun hatte. Einerseits fand ich es beklemmend, dass ich mit einem Schmuckstück unter der Fußsohle herumgelaufen war, andererseits, wenn jemand danach gesucht hatte, dann befand sich derjenige, der sie tötete, ohne Frage noch immer auf der Insel, wer immer es auch war.
    Plötzlich war ich nervös. Ich stand auf und horchte auf Geräusche im Haus, als könnte sich jetzt, in diesem Moment, jemand an mich heranschleichen. Dann ging ich wieder in die Küche und machte die Hintertür zu. Ich erwog sogar, sie abzuschließen. Stattdessen ging ich zum Spülbecken, ließ etwas lauwarmes Wasser ein, warf den Ring hinein, wartete ein paar Sekunden und rieb ihn dann zwischen den Händen. Danach trocknete ich ihn mit einem Küchenhandtuch ab und hielt ihn ins Licht. Ohne recht darüber nachzudenken, streifte ich ihn auf den dritten Finger meiner linken Hand. Er ging nicht über den Knöchel; er war für schlanke Finger gemacht.
    Der Leichnam, den ich auf der Bahre in der Leichenhalle gesehen hatte, war der einer schlanken Frau gewesen. Hatte ich jetzt ihren Ring vor mir? Als ich ihr leinenes Leichentuch aufschnitt, war meine Aufmerksamkeit vollständig auf die grauenvolle Brustwunde gerichtet gewesen. Wenn der Ring von ihrer linken Hand gerutscht war, hätte ich durchaus darauf treten können, ohne es zu bemerken.
    Nun, ihr Ring oder nicht, ich musste sofort Diktatorin Tulloch verständigen. Natürlich würde sie wütend auf mich sein. Nicht nur war ich dafür verantwortlich, dass ein wichtiges Beweisstück
von einem Tatort entfernt und seine Entdeckung um mehrere Tage verzögert worden war, ich war sogar so weit gegangen, den Schmutz davon abzuwaschen. Ich war mit einer Dampfwalze durch ihre forensischen Beweise gefahren.
    Ich legte den Ring auf die Arbeitsplatte und ging zum Telefon. Als ich anfing zu wählen, blitzte die Sonne durchs Fenster und ließ den Ring aufglänzen. Ich legte den Hörer auf und nahm den Ring wieder zur Hand. Auf der Innenseite befand sich eine Inschrift.
    Zu einfach, dachte ich, zu einfach. Wieder schaute ich mich nach der Tür um. Diesmal schloss ich sie wirklich ab, ehe ich den Ring ins Licht hob. Die Inschrift war schwer zu entziffern; sie war in jener hübschen, jedoch nahezu unlesbaren Schrift graviert, die man, glaube ich, Kursivkalligraphie nennt. Ein längerer Aufenthalt im Torf hatte nicht viel daran geändert.
    Der erste Buchstabe war ein J, der zweite ein H oder vielleicht ein N. Dann kam ein K, gefolgt von etwas, das ein C oder G sein konnte. Dann vier Ziffern: eine Vier, eine Fünf, eine Null und eine Zwei. Wenn dies die Initialen eines Hochzeitspaars und das Datum der Trauung waren, und wenn – ein sehr großes Wenn  – der Ring von meiner Freundin stammte, dann hatten wir es geschafft. Wir hatten sie identifiziert.
    Ich drehte mich um und sah das Telefon an. Hierher, sofort!, blaffte es mich an. Ich kehrte ihm den Rücken zu und suchte das Telefonbuch. Auf den Shetlands gab es zwanzig Standesämter. Ich wählte die Nummer des Amts in Lerwick. Es meldete sich sofort jemand. Ich holte tief Luft; mein Herz hämmerte, und ich fühlte mich auf lächerliche, unerklärliche Weise schuldig. Und dann sagte ich der Frau, wer ich sei,

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