Todesopfer
durchsuchen, oder? Das ist bestenfalls Zeitverschwendung und schlimmstenfalls hochgradig unprofessionell, wahrscheinlich sogar illegal. Häng dich da nicht noch weiter rein.«
Es kommt nicht oft vor, dass Duncan mich um etwas bittet. Wenn er es tut, willige ich fast immer ein.
»Nein, natürlich nicht. Du hast recht.« Und ich meinte es ernst. Das Ganze war weit genug gegangen.
»Brav so. Bis morgen. Ich liebe dich.«
Das hatte er schon lange nicht mehr gesagt. Als ich antworten wollte, hatte er schon aufgelegt.
Inzwischen war ich am Stadtrand von Lerwick angekommen und fuhr schnell zum Krankenhaus. Ich schaute auf die Uhr; ich würde zehn Minuten zu spät kommen. Hastig parkte ich den Wagen und stieg aus, wobei mich jäh ein Gedanke durchzuckte. Vielleicht hatte ich mir eine Sommergrippe zugezogen, denn sämtliche Glieder schmerzten, und mir war, als hätte ich einen gewaltigen Kater, obwohl ich am Abend zuvor gar nichts getrunken hatte. AuÃerdem fühlte ich mich, als hätte ich seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Und jetzt war ich auch noch zehn Minuten zu spät dran und würde mir gleich einen Anpfiff von Kenn Gifford abholen.
Er wartete in meinem Büro auf mich und schaute aus dem Fenster, bereits in blauer OP-Kluft, das lange Haar zum Pferdeschwanz nach hinten gebunden.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er und drehte sich um.
»War schon mal besser«, erwiderte ich.
Ich mochte mich ja beschissen fühlen, aber Gifford sah auch nicht gerade blendend aus. Seine schmalen Augen wirkten wie Schlitze in seinem Gesicht, und die Schatten darunter waren dunkler geworden.
»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte ich. »Duncan hat auf dem Weg hierher angerufen. Dadurch war ich ein bisschen langsamer.« Ich erzählte Gifford, dass Duncan den Ring gefunden hatte. Als ich fertig war, nickte er.
»Ich rufe Joss Hawick an. Höchstwahrscheinlich ist es nicht der Ring seiner Frau, aber wenn er die Sache weiter verfolgen will, kann er sich auf dem Polizeirevier melden, um ihn zu identifizieren. Wenn es doch ihrer ist, dann sieht es so aus, als hätten wir ein Diebstahlsdelikt und zwar ein besonders widerliches, wenn jemand Sachen aus der Leichenhalle klaut. Es tut mir leid, dass das alles passiert ist, Tora, es ist nicht einfach, sich bei all dieser Ablenkung einzugewöhnen. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Ja, danke«, sagte ich. Er ging zur Kaffeemaschine in der Ecke und goss zwei Tassen voll.
»Haben Sie so eine Art Hauptschlüssel?«, erkundigte ich mich.
Er drehte sich um, einen dampfenden Becher in jeder Hand, und hob die Brauen.
»Ich schlieÃe mein Büro jeden Abend ab, aber Sie haben es trotzdem irgendwie geschafft, hier reinzukommen und ein Frühstück zu organisieren. Haben Sie auch Croissants im Angebot?«
»Ich flitze gern schnell runter zur Bäckerei. Mr. Stephenson wartet seit drei Monaten auf seinen Bypass, eine halbe Stunde hin oder her ist bestimmt nicht schlimm. Aber, nein. Einen Hauptschlüssel zu besitzen â und ihn zu benutzen â, wäre ziemlich unprofessionell, finden Sie nicht? Es sei denn, man ist eine Putzfrau. So wie die, die gerade hier drin war, als ich gekommen bin, und die mir erlaubt hat, hierzubleiben und Kaffee zu kochen. Ich dachte einfach, Sie haben ihn vielleicht nötig.« Er reichte mir einen Becher. Die Wärme in meinen Händen war tröstlich. Gifford stand sehr dicht vor mir, aber ich wich nicht zurück.
»DI Dunn ist vorhin vorbeigekommen«, meinte er. »Er wollte sich von Stephen Renney bestätigen lassen, dass das Herz nicht von einem Menschen stammt.«
»Und?«, hakte ich nach, obgleich ich mir ziemlich sicher war, dass ich gestern Nacht recht gehabt hatte.
Gifford führte mich zu den beiden Sesseln in der Ecke des Zimmers. Er bedeutete mir, mich zu setzen, und nahm dann ebenfalls Platz.
»Von einem Schwein«, erklärte er. »Andy lässt seine Leute bei allen Metzgern auf der Insel nachfragen. Wenn irgendjemand in den letzten Tagen ein Herz gekauft hat, wird er es bald erfahren.«
»Glaubt er immer noch, dass das ein Scherz war?«
Kenn nickte. »Ich denke, er hat recht, meinen Sie nicht auch? Wieso sollte der Mörder, vorausgesetzt, er ist noch in der Gegend, ein so groÃes Risiko eingehen? Wenn Sie ihn nun gestern Nacht gesehen hätten?«
Dann wäre ich jetzt tot.
»Andy
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