Todesopfer
einfach wunderbar.
Sie musterte mich und schaute dann an sich hinunter. Ihre Leinenhose war zerknittert, aber sauber und sah noch immer recht gut aus, ebenso das rosafarbene Baumwolloberteil und die dazu passende Strickjacke. Ihre Haut wirkte blütenblattfrisch, und ihr Haar sah aus, als hätte sie es gerade erst gekämmt.
»Ich auch«, erwiderte sie. Da war was dran.
»Zuerst muss ich Ihnen berichten, was ich herausgefunden habe«, erklärte ich, wusste aber noch nicht, wie. Duncan hat eine ganz besonders nervtötende Art, wenn er mir was erzählen will, aber aus unerfindlichen Gründen schien sie mir unter diesen Umständen angemessen.
»Tora«, pflegte er zu verkünden, »ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.« Es war völlig egal, was ich antwortete, er hatte unweigerlich irgendeinen dämlichen Spruch parat, den er zum Brüllen komisch fand und der mich unter Garantie auf die Palme brachte. »Dann nehme ich die gute Nachricht«, sagte ich schlieÃlich widerstrebend. »Die gute Nachricht ist: Die schlechte
Nachricht ist nicht so schlimm!«, erwiderte er dann. Seit sieben Jahren machten wir das jetzt schon so, und die Nummer wurde wirklich nicht witziger. Jedenfalls nicht, was mich betraf. Doch an diesem Morgen war ich nicht ich selbst, denn ich verspürte einen fast unwiderstehlichen Drang, sie jetzt und hier abzuziehen.
Wollen Sie die gute oder die schlechte Nachricht zuerst, Dana?
Die gute Nachricht ist, ich weiÃ, wer unsere Torflady war.
Die schlechte Nachricht? Nein, die schlechte Nachricht glauben Sie mir ganz bestimmt nicht.
Sie musterte mich eindringlich. Ich begriff, dass sie sehr besorgt war und ich noch schlimmer aussehen musste, als ich mich fühlte. Also holte ich tief Luft.
»Ich habe eine Ãbereinstimmung gefunden«, begann ich und sah, wie ihre Augen aufleuchteten und ihre Miene lebendig wurde. »Natürlich müssen Sie das alles überprüfen lassen, aber ich bin mir zu achtundneunzig Prozent sicher.«
Sie beugte sich vor, und ihre Hand streifte meine. »Mein Gott, gut gemacht! Wer war sie?«
Ich nahm noch einen groÃen Schluck Tee. »Melissa Gair«, antwortete ich. »ZweiunddreiÃig Jahre alt. Eine Inselbewohnerin aus Lerwick, mit einem Mann von hier verheiratet.«
Dana ballte die Faust und reckte sie ein wenig aufwärts. »Warum wurde sie dann nicht als vermisst gemeldet? Wieso war sie nicht auf Ihrer Liste mit den Entbindungen vom Sommer 2005? War sie doch nicht, oder?«
»Nein â¦Â«
»Und wie �«
»Weil sie schon tot war.«
Sie starrte mich an. Drei winzige Furchen erschienen zwischen ihren Brauen. »Bitte?«
»Ich habe im Klinikarchiv nachgesehen. Sie wurde am 29. September aufgenommen, mit einem malignen Brusttumor, der, wie sich herausstellte, in Lunge, Wirbelsäule und Nieren metastasiert hatte. Ihr Arzt hatte erst ein paar Wochen zuvor bei einer Vorsorgeuntersuchung einen Knoten entdeckt. Sie wurde zur Behandlung
nach Aberdeen verlegt, aber es hat nichts genützt. Sie ist am 6. Oktober gestorben, nur dreieinhalb Wochen, nachdem der Krebs diagnostiziert worden war.«
»Verdammte ScheiÃe!« Ich hatte Dana noch nie fluchen hören.
»Das können Sie laut sagen«, pflichtete ich ihr bei. Genau das tat sie auch. Und noch einiges mehr. Sie stand auf und marschierte durchs Zimmer, hielt erst inne, als die Wand ihr Einhalt gebot. Dann machte sie kehrt und ging wieder zurück, blieb wieder vor der Wand stehen. Noch eine Kehrtwendung und noch ein paar Schritte. Dann verharrte sie auf der Stelle und sah mich an.
»Wie sicher sind Sie sich bei diesen Zahnaufnahmen?«
Um vier Uhr morgens war ich mir ziemlich sicher gewesen. Jetztâ¦
»Sie müssen sie von einem richtigen Zahnarzt begutachten lassen, aber ⦠ich ⦠ich bin mir sicher. Es waren dieselben.«
»Könnte es eine andere Frau gewesen sein? Eine andere Frau, derselbe Name? Zwei Melissa Gairs, die in Lerwick wohnen?«
Daran hatte ich auch gedacht. Ich schüttelte den Kopf. »Sie hatten dasselbe Geburtsdatum. Und dieselbe Blutgruppe. Es ist dieselbe Frau.«
»ScheiÃe!« Und wieder legte sie los, lief fluchend im Zimmer auf und ab. In mancher Hinsicht war es irgendwie befriedigend zu sehen, wie Dana die Makellose die Beherrschung verlor. Andererseits wollte ich, dass sie damit aufhörte. Meine Kopfschmerzen wurden
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