Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
Und doch brachte ich
noch genug Kraft auf, um mich um Duncan zu sorgen. Würde es sich wirklich lohnen zu überleben, nur um zu erfahren, dass er umgekommen war? Er konnte besser schwimmen als ich, doch was war, wenn er den Mast an den Kopf bekommen hatte? Ich stellte fest, dass ich noch genug Energie besaß, um zu weinen.
    Um Viertel nach zwölf hatte ich kein weiteres Auto zu Gesicht bekommen, und mir blieb nichts anderes übrig, als loszumarschieren. Ich war barfuß. Als ich ins Wasser stürzte, waren meine Gummistiefel vollgelaufen. Ich hatte sie abgestreift, doch jetzt wäre ich froh über sie gewesen – über jede Art von Schuhwerk. Der Randstreifen der Straße bestand aus hartem Gras, aus Schlamm, Schotter und anderen Steinen. Nach zehn Minuten bluteten meine Füße.
    Ich ging die Straße entlang, bis ich Gutcher erreichte, von wo aus die Fähre ablegt, die zwischen Yell und Unst verkehrt, und stolperte in das grün gestrichene, aus Holz gebaute Café direkt am Fähranleger.
    Â»Grundgütiger!«, sagte die Frau hinter dem Tresen bei meinem Anblick. Es waren noch zwei weitere Personen im Café, ein ungefähr zehnjähriger Junge und eine Frau, die ich für seine Mutter hielt. Sie sagten gar nichts und starrten mich nur an.
    Â»Kann ich mal telefonieren?«, brachte ich hervor. »Ich hatte einen Unfall beim Segeln«, fügte ich hinzu, obwohl das bestimmt nicht nötig war.
    Â»Yan!«, schrie die Frau, den Kopf halb zu einer Tür an der Rückseite des Cafés gedreht, den Blick fest auf mich geheftet. »Die Kleine hier is’ halb ersoffen!«
    Sie brachten mir ein Telefon, aber ich konnte die Nummer nicht wählen, mich nicht einmal mehr an sie erinnern. Doch es gelang mir, ihnen zu sagen, wer ich war, und sie riefen für mich an. Es schien sehr lange zu dauern, und die ganze Zeit über bereitete ich mich auf die Nachricht vor, dass Duncan nicht zurückgekommen war. Ich glaube, ich verkroch mich irgendwo im Innern meines eigenen Kopfes, war mir nur vage der Geräusche und Bewegungen um mich herum bewusst. Man brachte mir heißen Tee, doch ich
konnte nicht einmal den Becher halten. Irgendjemand legte mir dann eine Decke um. Ich wurde zum Gegenstand jener sanften Neugier und bedingungslosen Güte, wie man sie nur in kleinen Gemeinschaften findet. Und ich wartete darauf, dass man mir vom Tod meines Mannes berichtete.

20
    Duncan war nicht tot. Duncan kam eine Stunde später in das Café gestürzt, ein bisschen weißer im Gesicht als gewöhnlich, ansonsten aber in bester Verfassung. Später erfuhr ich, dass die Jolle gar nicht gekentert war, sie hatte sich nur heftig auf die Seite gelegt, sich dann aber wieder aufgerichtet. Es war Duncan gelungen, sich an der Ruderpinne festzuklammern, doch ohne Mast und mit zerfetzten Segeln war das Boot so gut wie manövrierunfähig und trieb auf die Klippen zu. Er hatte seine Schwimmweste aufgeblasen – die einwandfrei funktionierte, vielen Dank auch – und sich angeschickt, die Jolle aufzugeben. Zum Glück wurde er jedoch von einem vorbeifahrenden Boot entdeckt. Rob Craigie, der Besitzer einer der größten Lachsfarmen von Unst, war gerade von einer frühmorgendlichen Inspektion seiner Hochseegehege zurückgekommen. Er hatte Duncan aufgefischt, und die beiden hatten die nächste Stunde damit verbracht, nach mir zu suchen. Angesichts des immer stärker werdenden Unwetters hatte Duncan sich schließlich dazu bewegen lassen, nach Unst zurückzukehren und die Küstenwache zu alarmieren. Als die Leute aus dem Café auf Yell bei den Guthries anriefen, wurde ich seit fast vier Stunden vermisst.
    Viel weiß ich nicht mehr von der Rückfahrt nach Unst. Nur dass Richard am Steuer saß und ich auf dem Rücksitz kauerte, dicht an Duncan geschmiegt. Niemand redete viel. Es dauerte länger als sonst, weil die Fähren wegen des schlechten Wetters Verspätung hatten, doch schließlich, am Nachmittag, kamen wir an. Elspeth hatte im Kamin unseres Zimmers ein Feuer entzündet und zusätzliche Steppdecken aufs Bett gelegt. Duncan half mir, ein heißes Bad zu nehmen, und zog mir dann einen Flanellpyjama von Richard an. Richard untersuchte mich auf eine Gehirnerschütterung
hin, gab mir ein Schmerzmittel für mein Kopfweh und Schlaftabletten. Ich widersprach nicht, obgleich ich bezweifelte, dass ich Letztere wirklich brauchte. Schlaf

Weitere Kostenlose Bücher