Todesqual: Thriller
Schubladen schienen sich auf Berufliches zu beziehen. Sie enthielten Informationen zu Seminaren, die das Opfer am College unterrichtet hatte, und Brants Mitschriften von Dienstbesprechungen. In der obersten Schublade entdeckte Lena Brants Scheckbuch neben einem Stoß unbezahlter Rechnungen, die sie sich genauer ansah. Als sie die Papiere durchblätterte, fiel ihr als einzig Ungewöhnliches der Kontostand auf. Da die Monatsgehälter der Brants offenbar noch nicht eingegangen waren, belief er sich auf klägliche 159,62 Dollar.
Lena legte das Scheckbuch zurück in die Schublade und wandte sich dem Wandschrank zu, wobei sie darauf achtete, das Fingerabdruck-Pulver am Türgriff nicht zu verwischen. Anscheinend gab es im Haus nur wenig Stauraum, denn sie fand Brants Kleidung darin vor. Auf dem obersten Regalbrett sah sie eine abgenutzte 35-Millimeter-Kamera neben drei großen braunen Umschlägen. Als sie sie herausnahm, bemerkte sie, dahinter versteckt, einen Schuhkarton. Vorsichtig zog Lena den Karton mit den Fingerspitzen heraus, setzte sich auf den Boden und lüpfte den Deckel.
Sie hatte eine Sammlung von Erinnerungsstücken vor sich: Briefe und Schnappschüsse aus Brants Vergangenheit, von seiner Familie, seinen Freunden und einigen Frauen, vermutlich Freundinnen aus Highschool- und Collegezeiten. Doch am meisten stach Lena das Haus ins Auge, in dem Brant aufgewachsen war. Er stammte weder aus einer armen, ja, noch nicht einmal einer gutbürgerlichen Familie – die Flotte von Mercedes-Limousinen, geparkt vor einem Tennisplatz und einem Swimmingpool, wies auf gehobene Vermögensverhältnisse hin. James Brants Eltern waren reich.
Damit hätte Lena nicht gerechnet, denn Nikki und James Brant hatten offensichtlich mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Aus ihrem Kontostand von weniger als zweihundert Dollar hatte sie geschlossen, dass sie sich allein durchschlagen mussten. Wie sie sich deutlich erinnerte, hatte Brant während der Vernehmung gesagt, er habe sich zwar eine Familie gewünscht, aber nicht gewusst, wovon er sie ernähren solle. Nun fragte sie sich, warum Brant in dieser Lage nicht seine Eltern um Hilfe gebeten hatte. Aber vielleicht hatte er das ja absichtlich nicht getan, überlegte sie weiter. Der Geldmangel war nur eine weitere Ausrede. Eine seiner vielen Lügen. Schließlich konnte er sich Buddy Paladino, einen der teuersten Strafverteidiger in der Branche, leisten.
Lena schloss den Karton und sah die Umschläge durch. Die ersten beiden enthielten Schwarz-Weiß-Fotografien, der dritte Kontaktabzüge von Negativen. Lena hielt sie ans Fenster, um sie besser sehen zu können. Es waren einige Porträts von Familienmitgliedern dabei, die sie in dem Schuhkarton gefunden hatte. Allerdings handelte es sich bei den meisten um kunstvoll eingerichtete Landschaftsaufnahmen. Lena schüttelte den Kopf. Irgendwann in seinem Leben hatte Brant sich offenbar für Fotografie und Kunst interessiert. Vielleicht konnte er dieses Hobby ja im Gefängnis wieder aufnehmen.
Sie stand auf, legte die Sachen in den Schrank zurück und ging ins Bad, das sich zwischen Arbeitszimmer und Schlafzimmer befand. Hier war der säuerliche Geruch nach verwesendem Blut stärker. Wieder achtete Lena nicht darauf, sondern begann, den kleinen Raum gründlich unter die Lupe zu nehmen. Der Großteil der Rohrleitungen war herausgerissen und ins Labor gebracht worden, da die Kriminaltechnik noch nach dem fehlenden Zeh des Opfers und nach Spuren davon suchte, dass der Täter sich gewaschen hatte. Lena fing mit der Hausapotheke an, da sie hoffte, dort die Tabletten zu finden, die die Frauenärztin Nikki verschrieben hatte. Doch sie entdeckte nur zwei Jahre alte Tabletten zur Muskelentspannung in einem braunen Glasfläschchen. Als sie es schüttelte und ans Licht hielt, schien es noch voll zu sein.
Natürlich wäre es einfacher gewesen, wenn sie gewusst hätte, wonach sie eigentlich suchte. Zumindest eine Vorstellung von der Form und ungefähren Größe des Gegenstands hätte Lena als sehr hilfreich empfunden. Sie öffnete einen schmalen Wäscheschrank, kramte in den Handtüchern und durchwühlte das Unterschränkchen unter dem Waschbecken. Nichts. Dann trat sie durch die offene Schlafzimmertür.
Die Vorhänge waren zugezogen, um den Nachbarn, die sich möglicherweise aufs Grundstück verirrten und rasch einen Blick durchs Fenster werfen wollten, die Sicht zu versperren. Obwohl die Leiche natürlich längst weggeschafft worden war,
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