Todesqual
zu beherrschen, noch nicht verloren hatte. Als er zum Taurus zurückkehrte und seine Kamera untersuchte, wünschte er, Finn wäre dabei gewesen, um zu sehen, wie gut er sich im Griff hatte.
Er schaltete die Kamera an und drückte auf den Knopf. Das Blitzlicht spiegelte sich in der Windschutzscheibe und erfüllte das Wageninnere mit einem Schein, der greller war als die Sonne und ihm in den Augen weh tat. Nachdem der Blitz verloschen war, betrachtete er das Foto. Kein Schaden. Die Kamera funktionierte ausgezeichnet.
Er umrundete die Pfütze auf der Straße und fuhr auf der Willoughby Road weiter nach Osten. Fünf Minuten später bog er in der Vine Street links ab und konnte in einem guten Kilometer Entfernung am Ende der Straße die Hügel von Hollywood sehen. Das Radio lief noch. Nach einer Unwetterwarnung und einem Bericht über einen Erdrutsch in Malibu ging es wieder einmal um Romeo, von dem inzwischen die ganze Stadt sprach. In einem Interviewausschnitt verkündete der Polizeipräsident, man mache zwar Fortschritte, aber Ermittlungen wie diese brauchten eben ihre Zeit.
Romeo. So nannten sie ihn inzwischen.
Romeo.
Ihm gefiel der Klang des Namens und die Bedeutung, die in ihm mitschwang. Sogar die herzförmigen Rähmchen, in denen die Bilder seiner Opfer im Fernsehen erschienen, fand er in Ordnung.
Er stoppte an der Ampel und betrachtete durch die Windschutzscheibe die Häuser, die sich in die Hügel schmiegten. Die erleuchteten Fenster. Tim Holts Haus war nicht zu sehen, weil dort kein Licht brannte. Niemand wohnte mehr darin.
Als die Ampel auf Grün umsprang, lächelte er. Die ganze Stadt der Engel suchte nach ihm. Alle wollten wissen, wer wer war. Er griff nach seiner Wasserflasche und trank einen großen Schluck. Martin Fellows mochte nicht zählen, Romeo schon.
46
L ena kramte ihre Taschenlampe aus dem Kofferraum hervor und warf dabei einen Blick auf das Haus hinter der Mauer. Jetzt, eine Viertelstunde nach Mitternacht, war alles still und dunkel. Das einzige Geräusch kam von dem trockenen Wind, der die Blätter der Bäume zum Rascheln brachte und die Äste schüttelte, bis Regentropfen zu Boden fielen.
Das Gespräch mit Rhodes hatte einen faden Nachgeschmack hinterlassen, den sie einfach nicht loswurde. Mittlerweile hatte sich ihr innerer Monolog in eine handfeste Auseinandersetzung verwandelt. Auf ihre Menschenkenntnis war sie schon immer stolz gewesen, und als Polizistin verließ sie sich auf ihre Instinkte, um eine Situation rasch zu beurteilen und selbstbewusst einzuschreiten. Es war eine Überlebenstechnik, die man erwarb, wenn man Hunger litt und in einem Auto lebte. Eine, auf die Lena unbedingt vertrauen können musste. Obwohl es voreilig gewesen wäre,
Rhodes irgendwelcher unlauterer Machenschaften zu verdächtigen, verhielt er sich mehr als merkwürdig. So sehr Lena daran lag, Tim Holt von jeglichem Verdacht reinzuwaschen, sollte aber auch an Rhodes nichts hängenbleiben. Sie konnte sich doch unmöglich gleich zweimal so in einem Menschen geirrt und diese beiden in ihrem Leben so wichtigen Männer falsch eingeschätzt haben. Hatte sie etwa Grund, an ihrem inneren Kompass zu zweifeln? Ihrem Richtungsgeber? Ließ er sie nun im Stich?
Lena kramte die Zigaretten, die sie gestern gekauft hatte, aus dem Handschuhfach. Während sie weiter über Rhodes’ Reaktion nachdachte, zündete sie eine an. Ob Selbstzerstörung wohl ansteckend war? Sie war ihm die Franklin Avenue hinunter gefolgt, hatte ihn aber im dichten Verkehr verloren, als er an der Gower Road rechts abgebogen war. Sicherheitshalber hatte sie zwanzig Wagenlängen Abstand gehalten, damit er sie nicht bemerkte. Wenn sie gewusst hätte, wie viele Autos heute Nacht unterwegs waren, wäre sie dichter aufgefahren. Allerdings stand nun eines fest: Er hatte sie angelogen, denn der Supermarkt befand sich zwei Straßen weiter an der Franklin Avenue - und zwar in entgegengesetzter Richtung. Rhodes hatte eine Verabredung.
Lena sog Rauch in ihre Lungen und sah auf die Uhr. Novak würde frühestens in einer halben Stunde hier sein. Sie schaltete die Taschenlampe ein, schob das Absperrband beiseite und machte sich allein auf den Weg die Auffahrt entlang.
Sie wollte sich zuerst das ganze Haus von außen ansehen. Novak hatte ihr am Telefon erzählt, der Täter sei nicht durch eine unverschlossene Eingangstür eingedrungen, sondern durch ein eingeschlagenes Kellerfenster. Lena folgte einem Kiesweg, der von der Auffahrt abging. Einige Stufen führten
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