Todesqual
arbeiten. Deshalb bin ich auch zu spät gekommen.«
Fellows überlegte. Nach seiner Ankunft im Fitnessstudio hatte er eine gute halbe Stunde auf Finn warten müssen. In der Annahme, dass sein Freund ihn versetzt hatte, hatte er sich schließlich umgezogen und war allein nach oben in den Gewichteraum gegangen. Erst nachdem er die Bank mit Glasreiniger eingesprüht und alles ordentlich gesäubert hatte, war Finn erschienen. Fellows trainierte grundsätzlich nur mit gründlich desinfizierten Geräten. So gern er das Fitnessstudio auch besuchte, setzte sich das Personal aus einem internationalen Gemisch von Gelegenheitsarbeitern zusammen, die sicher nichts von den üblen Folgen einer bakteriellen Infektion und der hohen Ansteckungsgefahr wussten.
»Das ist nur eine Ausrede«, sagte Fellows. »Du willst aussteigen.«
»Es ist keine Ausrede. Und ich möchte mich nicht hier im Studio deswegen streiten. Heute kann ich nicht. Außerdem müssen wir Sicherheitsvorkehrungen treffen. Das weißt du genauso gut wie ich, Martin. Diesmal ist es anders.«
»Liegt es daran, wer Burell ist?«
Finn nickte. »Warum die Eile? Es ist doch egal, ob wir es heute oder morgen Abend machen?«
Fellows zuckte die Achseln. Er lächelte, als er an morgen dachte. Dann griff er nach seinem zehn Zentimeter großen Kreuz aus Edelstahl und hängte es sich um den Hals. Vor Finn war sein Leben so kompliziert gewesen. So schrecklich einsam.
In dem hohen Spiegel betrachtete er das Kreuz und bewunderte seinen Körper. Seine Kraft. Als er sich umdrehte, war sein Freund schon fast die Treppe hinunter. Fellows blickte ihm nach, während er hinausging, sammelte seine Sachen ein und machte sich auf den Weg in die Umkleide. Fünf Minuten später stand er in der Dusche und seifte sich mit Rasierschaum aus der Dose ein. Wie die Bodybuilder, die er als Jugendlicher am Strand beobachtet hatte, rasierte sich Martin
Fellows einmal wöchentlich am ganzen Körper. Für Außenstehende, seine Mitstudenten an der Universität, ja, anfangs sogar für sich selbst war sein haarloser Anblick etwas gewöhnungsbedürftig gewesen. Doch wie bei allen Dingen, die er im Laufe der Jahre hatte ertragen müssen, kam er irgendwann damit zurecht.
Fellows duschte sich ab und griff nach seinem Handtuch. Beim Anziehen musste er an Finns Plan für morgen denken. Seiner Ansicht nach hatte Burell ein Ende verdient, das alle, die das Ergebnis sahen, inspirieren würde. Etwas Besonderes und Herausragendes, das der Welt eine Botschaft vermittelte. Allerdings wunderte es ihn, dass Finn sich aus dem Staub gemacht hatte, ohne sich zu verabschieden. Offenbar genoss Finn die Heimlichtuerei und das Leben im Verborgenen. Bis heute wusste Fellows nicht, wie sein Freund seinen Lebensunterhalt verdiente. Er bezweifelte sogar, dass Finn sein richtiger Name war.
Hieß er wirklich Mick Finn oder vielleicht doch anders? Es war ein Name, der ihn zum Schmunzeln brachte. Gab es tatsächlich Eltern, die ihr Kind nach einer umgangssprachlichen Bezeichnung für K.-o.-Tropfen benannten?
Fellows verscheuchte den Gedanken, schlüpfte in sein Hemd und spürte, wie der Stoff an seinem harten Bizeps und der babyweichen Haut rieb. Er hatte den Verdacht, dass Finn in der Sicherheitsbranche tätig war. Möglicherweise hatte er sich deshalb so schnell verdrückt. Offenbar hatte es heute Abend eine Sicherheitskrise gegeben. Am Anfang ihrer Freundschaft hatte Fellows schon befürchtet, es sei ein Fehler gewesen, Finn von seinen Phantasien zu erzählen, weil er aussah wie ein Polizist. Er hatte dunkle, ernste Augen, die das Gegenüber polizistenähnlich musterten. Doch nachdem Fellows das Eis gebrochen hatte, war auch Finn aufgetaut, und sie hatten erkannt, dass sie gemeinsame Ziele verfolgten. In den neun Monaten, die sie sich nun kannten, hatte Fellows Finn
niemals in Uniform erlebt und auch nie eine der Gerätschaften bei ihm gesehen, die ein Polizist normalerweise so mit sich herumschleppte. Nur die abgewetzte Aktenmappe.
Fellows machte seine Sporttasche zu, durchquerte die Vorhalle und trat hinaus ins Freie. Nebel war aufgezogen, und der Geruch nach Meer lag in der kühlen Nachtluft. Als Fellows den Gehweg entlangschlenderte, kam eine Frau an ihm vorbei. Sie hatte den Blick starr zu Boden gerichtet und schien in Eile zu sein. Fellows blieb stehen, um ihre Figur und die langen Beine zu betrachten. Doch als ihm ihr Parfüm in die Nase stieg, konnte er nur an Harriet Wilson denken. An den Duft ihrer Haut und daran,
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