Todesregen
der monumentale Schrecken, die Derek ausmalte, nicht zu der Schöpfung, wie sie sie verstand. »Nein«, sagte sie. »Nein, das ist einfach nicht möglich.«
»Was Wissenschaft und Technologie angeht, sind sie uns Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Jahren voraus«, sagte Derek. »Was sie können, ist für uns ganz und gar unbegreiflich. Statt innerhalb von Jahrzehnten können sie unsere Welt womöglich in einem Jahr, einem Monat, einer Woche umgestalten.«
Wenn das stimmte, war die Menschheit tatsächlich das Opfer von etwas Schlimmerem als Krieg. Dann verweigerte man ihr die Würde, die man einem Feind zugestand, und sah sie nur als Ungeziefer oder als lästigen Schimmel, den man mit einer Reinigungslösung einfach wegspülte.
Als Molly Beklemmung in der Brust spürte, als ihr Atem nicht mehr so leicht ging wie vorher und ihr Herz vor Angst zu jagen begann, da redete sie sich ein, diese Reaktionen seien kein Hinweis darauf, dass sie Dereks Thesen für wahr hielt. Nein, sie glaubte nicht, dass man der Menschheit mit solcher Arroganz und ohne Furcht vor den Folgen die Erde wegnehmen konnte. Sie weigerte sich ganz einfach, so etwas zu glauben.
Offenbar spürte Derek ihren inneren Widerstand gegen seine Ausführungen, denn er sagte: »Ich habe Beweise.«
»Beweise?«, sagte Neil sarkastisch. »Was für Beweise könntest du wohl haben?«
»Wenn es keine Beweise sind, dann zumindest verdammt überzeugende Indizien«, erwiderte Derek. »Kommt mit. Ich zeige es euch.«
Er drehte sich zur Hintertür um, hielt dann jedoch inne und sah die beiden wieder an, ohne noch einen Schritt getan zu haben.
»Molly, Neil«, sagte er, »ich zeige euch das, weil ihr mir wichtig seid. Ich will euch damit nicht beunruhigen.«
»Zu spät«, sagte Molly.
»Ihr seid meine Freunde«, fuhr Derek fort, »und ich will nicht, dass ihr eure letzten Stunden oder Tage mit vergeblichem Widerstand gegen ein unausweichliches Schicksal vergeudet.«
»Wir haben einen freien Willen. Wir bestimmen unser eigenes Schicksal, selbst wenn es in den Sternen geschrieben steht«, sagte Neil, denn das hatte man ihm beigebracht, und das glaubte er noch immer.
Derek schüttelte den Kopf. »Gebt euch lieber allen Vergnügungen hin, die sich euch bieten. Schlaft miteinander. Plündert Norman Lings Supermarkt und holt euch die Sachen, die euch am besten schmecken, bevor das Haus unter Wasser steht. Umgebt euch mit einem tröstlichen Nebel aus Gin. Wenn andere mit Hurragebrüll untergehen wollen … dann lasst sie. Aber genießt die Freuden, die euch noch bleiben, bevor wir alle in eine lange, vollständige, ginlose Dunkelheit gespült werden.«
Er wandte sich erneut ab und steuerte die Hintertür an.
Als Molly ihm nachblickte und zögerte, ihm zu folgen, sah sie ihn so, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Derek Sawtelle war immer noch ihr Freund, aber auch etwas anderes; er war nun die Verkörperung einer tödlichen Versuchung – der Versuchung, zu verzweifeln.
Sie wollte nicht sehen, was er ihr zeigen wollte. Doch die Weigerung hinzuschauen wäre ein stillschweigendes Eingeständnis gewesen, dass sie fürchtete, seine Indizien könnten
überzeugend sein. Das aber wäre der erste Schritt auf einem anderen Weg zur Verzweiflung gewesen.
Nur indem sie seine Indizien anschaute, konnte sie die Stärke ihres Vertrauens prüfen und sich die Chance bewahren, an ihrer Hoffnung festzuhalten.
Sie sah Neil in die Augen. Er begriff ihr Dilemma und teilte es.
Derek war an dem Bogen stehen geblieben, der zu einem kurzen Flur und zu den Toiletten führte. Er drehte sich um und versprach: »Beweise.«
Molly warf einen Blick auf die drei träge umherstreifenden Hunde, die sofort wegschauten und so taten, als wären sie ganz fasziniert von der Geschichte heruntergefallenen Essens, die auf dem fleckigen Holzboden aufgezeichnet war.
Derek trat durch den Bogen und verschwand im Flur.
Nach kurzem Zögern folgten ihm Molly und Neil.
21
Nachdem Derek sich vergewissert hatte, dass die Männertoilette leer war, zog er einen Abfalleimer herbei, um die Tür offen zu halten, dann winkte er Molly und Neil.
Von den Parfümsteinen in den beiden Pissoirs stieg starker Pinienduft auf. Dennoch roch es unverkennbar nach Urin.
Vom Vorraum aus sah man drei Türen. Zwei führten zu Toilettenkabinen, hinter der dritten verbarg sich eine Besenkammer.
»Als ich mir vorhin die Hände gewaschen habe«, sagte Derek, »waren keine Papierhandtücher mehr im Spender. Da hab ich in die Kammer
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