Todesregen
kundtaten.
Entsetzt begann das Mädchen zu schluchzen.
Die beiden Zwillinge beugten sich vor, obwohl Molly sie wegscheuchen wollte. »Bethany«, sagte einer der beiden, »sie will dir doch helfen. Lass los!«
Offenbar hatte sich das Ding, das die sterbliche Hülle des toten Priesters benutzte, wieder aufgerappelt, denn die Schrotflinte donnerte.
Während ein vielschichtiges Echo von Deckengewölbe und Wänden widerhallte, rief Neil: »Beeil dich!«
»Bethany«, sagte Molly beschwörend, »lass das Brett los!«
Ein weiterer Schuss krachte. Dass er schon so bald kam, ließ darauf schließen, dass die Leiche des Pfarrers nicht die einzige Bedrohung darstellte.
Endlich sah das Mädchen Molly an, und Molly wandte ihre Augen nicht ab, um sich nach der drohenden Gefahr umzuschauen, sondern sagte mit aller Inbrunst, zu der ihre Stimme fähig war: »Vertrau mir, Bethany. Ich würde für dich sterben. Wenn du hinunterfällst, dann komme ich hinterher. Vertrau mir! «
Ein gelbliches Licht flackerte hinter Molly auf, der Schein heller, sich rasch ausbreitender Flammen. Offenbar hatten die herumrollenden Kerzen brennbares Material gefunden.
»Vertrau mir!«
Der Blick des Mädchens fiel auf etwas rechts von Molly, und es hörte auf zu schluchzen.
Der Hund. Der gute Virgil war tapfer zur brüchigen Kante des Lochs gekommen.
Tief unten ging der letzte Schrei des Dicken in ein Stöhnen über. Dann war es still.
Bethanys Arme fest im Griff, spähte Molly nach unten, sah jedoch nur schwarze Schatten, die sich bewegten, eine ruhelose Finsternis von unterschiedlicher Dichte und Konsistenz. Die vielen flüsternden Stimmen, die sie vorher gehört hatte, waren vielleicht wirklich ein zorniges Raunen gewesen, vielleicht aber auch nur Geräusche ohne jegliche Bedeutung.
Einen Moment lang schien Bethany mit dem Hund zu kommunizieren. Dann sagte sie zu Molly: »Hilf mir!«, und die Wolke aus Panik verzog sich aus ihren grünen Augen.
Molly begann zu ziehen. Das Mädchen ließ die Kante los und rutschte strampelnd, als zerrte etwas an seinen Beinen, aus dem Loch auf den sicheren Boden.
Der Widerschein der Flammen tanzte bereits auf den Wänden, ließ helle Zungen über die Fenster zucken und brachte Bänke und Wandtäfelung zum Glänzen. Molly roch Rauch, und dann sah sie, wie er sich in geschmeidigen Spiralen um ihre Beine ringelte.
Während sie Bethany und ihre Brüder an dem Loch vorbei nach oben scheuchte, drehte Molly sich halb um und sah im Kirchenschiff die Flammen selbst, nicht nur ihren Abglanz. Sie bauschten sich auf wie die flatternden Fahnen einer kriegslüsternen Nation.
Einer der aus dem Grab gestiegenen Kadaver öffnete die Tür im Altargeländer und kam mit brennenden Kleidern und lodernden Haaren entschlossen auf sie zu.
Molly wandte sich von der wandelnden Fackel ab und folgte dem hageren Mann, der sich an den geborstenen Dielen vorbeitastete. Bethany und ihre Brüder waren schon fast bei Neil, Abby und Johnny, nicht mehr weit von der Sakristei.
Wieder bewegte sich der Boden, diesmal mit der Kraft eines Erdbebens. Er sprang in die Höhe, fiel wieder zurück, zuckte hin und her.
Der Hagere stolperte, wäre fast ins Loch gestürzt, ruderte mit den Armen, hielt das Gleichgewicht, aber –
– jener Verwandte von Kakerlaken, Tausendfüßlern und Wespen, jene Bestie, die der Gott aller Insekten hätte sein können, zuckte donnernd aus dem Keller, spießte den Mann am Bauch mit einem Stachel auf, der so lang war wie eine Lanze, und nahm den Schreienden mit hinab ins Loch.
Im selben Augenblick spürte Molly glühende Hitze im Rücken. Vor dem inneren Auge sah sie, wie die Gluthand der brennenden Leiche nach ihrem Haar griff. Sie rannte los.
41
Im Dunkel unten kreischte der Hagere, brennendes Holz knackte und knisterte, von irgendwoher kam ein Zischen, die verängstigten Kinder schrien auf, und Neil brüllte Worte, die Mollys hämmerndes Herz zu sinnlosen Fragmenten zertrümmerte.
Er tat einen Schritt auf sie zu und richtete die Flinte auf sie. Sie duckte sich, warf sich in den über den Boden wallenden Rauch, und Neil feuerte über sie hinweg.
Obwohl sie den Atem anhielt, stieg ihr der beißende Qualm in die Nase. Keuchend und würgend rappelte sie sich wieder hoch.
Durch die Gänge zwischen den Bankreihen näherten sich die auferweckten Toten in ihrer zerfetzten Grabkleidung wie Vogelscheuchen, die man durch Hexerei in Bewegung gesetzt hat. Manche von ihnen brannten und verbreiteten im Gehen das
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