Todesregen
hervor, eine leise, klagende Antwort.
Da war ein Artgenosse im violetten Morgen unterwegs, und der monströse Rufer blieb stehen, um der Erwiderung zu lauschen.
Aus einer anderen Richtung kam eine zweite Antwort. Sie war ebenso leise, hatte jedoch ein tieferes Timbre und klang weniger wie eine weinende Frau als wie ein weinender Mann.
Als die beiden anderen Stimmen verstummten, setzte sich das Ding auf dem Rasen wieder in Bewegung und verfolgte seinen ursprünglichen Weg weiter.
Surreal. Oder allzu real.
»Schau mal«, sagte Neil und deutete nach Norden.
In der dichten Nebelschicht erschien ein leuchtendes Objekt, offenbar von demselben Typ wie das, was auf der La Cresta Avenue über ihnen geschwebt hatte. Lautlos bewegte es sich von Nordosten nach Südwesten über den Ort.
»Und da!«
Ein weiteres leuchtendes Fahrzeug kam von Westen und bewegte sich auf einem schlangenförmigen Kurs ostwärts.
Hinter dem bergenden Nebelschleier waren die Herren des Morgenhimmels offenbar mit der weiteren Eroberung der Erde beschäftigt.
SECHSTER TEIL
Doch eisig fauchend ist mir hinterdrein Das Schädelfeixen und das scheppernde Gebein.
T.S. ELIOT • DAS WÜSTE LAND
43
Auf dem Weg von St. Perpetua zur Kneipe hielten sich Johnny und Abby nah bei Neil. Dahinter trottete Virgil, um Angriffe von hinten oder von den Seiten abzuwehren. Offenbar begriff der Hund, dass es momentan eher seine Pflicht war, zu wachen statt zu führen.
An der Spitze der kleinen Kolonne ging Molly mit den Zwillingen und ihrer Schwester. Dabei erfuhr sie, dass die Jungen Eric und Elric Crudup hießen und am Neujahrstag geboren waren. Im Januar wurden sie zehn Jahre alt. Die beiden waren nach Wikingerhelden benannt worden, obwohl ihre Eltern keinerlei skandinavische Vorfahren hatten.
»Mom und Dad mögen Aquavit und dieses Bier mit dem Elefanten drauf«, sagte Eric. »Das trinken sie abwechselnd. «
»Aquavit und Elefantenbier werden in Skandinavien gemacht«, erklärte Elric.
Ihre Schwester, die mit ihren helleren Locken deutlich skandinavischer aussah als die dunkelhaarigen Brüder, wurde mit ihrem zweiten Vornamen gerufen, denn er erste war Grendel.
Ihre Eltern hatten sie so genannt, weil sie wussten, dass Grendel ein skandinavischer Name war. Das Mädchen war schon fast vier Jahre alt, als sie erfuhren, dass Grendel der Name eines von Beowulf erschlagenen Ungeheuers war. Ihre Kenntnis der nordischen Sagenwelt und der altenglischen Literatur war offenkundig nicht ganz so ausgeprägt
wie ihre Vorliebe für die besten alkoholischen Getränke Skandinaviens.
Keiner der beiden Männer, die in der Kirche den Tod gefunden hatten, war mit den drei Geschwistern verwandt gewesen. Der Dicke, Mr. Fosburke, hatte die sechste Klasse in ihrer Schule unterrichtet; den Hageren hatten sie noch nie gesehen.
Eric, Elric und Bethany glaubten, ihre Eltern seien noch am Leben, obgleich sie – und ihre bei ihnen wohnende Großmutter – während der Nacht »durch die Decke verschwunden« waren.
Später, als der Strom ausgefallen war, hatten die Kinder zu viel Angst gehabt, um zu Hause zu bleiben. Sie waren zwei Straßen weit durch den Regen gelaufen, um Schutz in der Kirche zu suchen. Dort hatte das Böse sie gefunden.
… durch die Decke verschwunden …
Unter dem Meer aus violettem Nebel, im schwachen, düsteren Licht der ertrunkenen Sonne, in dem die Kobolde und Ungeheuer einer anderen Welt in unbekannter Zahl umherstreiften, musste Molly auf jeden Schatten achten, weil es wirklich nur ein Schatten oder aber eine tödliche Bedrohung sein konnte. Da die Zeit drängte, konnte sie sich nicht genügend auf die Unterhaltung konzentrieren, um Eric, Elric und Bethany eine verständliche Erklärung dessen zu entlocken, was sie mit »durch die Decke verschwunden« eigentlich meinten.
Die neben ihr herhastenden Kinder brannten allerdings ohnehin darauf, ihr mitzuteilen, was sie erlebt hatten.
»Sie sind einfach aus dem Wohnzimmer geschwebt«, sagte die sechsjährige Bethany, die offenbar erstaunlich hart im Nehmen war. Jedenfalls hatte sie sich rasch von der traumatischen Erfahrung erholt, wie ein Köder über dem düsteren Bau des grausigen Insekts zu baumeln.
»Wie Astronauten im Weltraum hat das ausgesehen«, fügte Elric hinzu.
»Wir sind nach oben gerannt«, sagte Eric.
»Da haben wir sie auch gefunden, im Schlafzimmer von Mom und Dad, aber von dort ist es weitergegangen wie vorher«, berichtete Elric.
»Ich hatte Angst«, sagte Bethany.
»Wir
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