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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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gegenüber ihrer Person, so gierig und gedankenlos wie eh und je. Die Frauen reagierten sogar noch ablehnender als während der Schulzeit, weil ihr eigenes Äußeres – bedingt durch Schwangerschaften, durch das Alter und durch ein gesetzteres Leben – sich zusehends veränderte.
    Kari stürzte sich in ihre Arbeit als Model und bekam problemlos Aufträge von Ford, Elite und anderen Top-Agenturen. Doch ihre erfolgreiche Karriere hatte eine ironische Konsequenz: Sie war furchtbar einsam und hatte trotzdem kaum Zeit für sich selbst. Völlig Fremde betrachteten sich plötzlich als enge Freunde. Ständig suchten sie in der Öffentlichkeit ihre Nähe oder schrieben ihr lange Briefe, in denen sie intimste Geheimnisse preisgaben, sie um Rat baten oder ihrerseits Ratschläge anboten, wie Kari ihr Leben zu führen hätte.
    Langsam begann sie die normalen Aktivitäten zu hassen, die sie als Kind geliebt hatte – Weihnachtseinkäufe, Softballspiele, Angeln, Joggen. Schon ein Ausflug zum Gemüsehändler konnte zum Horrortrip werden; die Männer drängelten sich, um an der Kasse hinter ihr zu stehen und gnadenlos zu flirten. Mehr als ein Mal ergriff sie die Flucht und ließ einen voll gepackten Einkaufswagen zurück.
    Aber dem wirklichen Schrecken begegnete sie erst in Gestalt von David Dale, dem Mann im grauen Pickup.
    Das erste Mal hatte Kari ihn in einer Gruppe von Zuschauern bei einem Auftrag für
Vogue
vor zwei Jahren wahrgenommen.
    Natürlich gab es ständig Zuschauer bei den Foto-Sessions. Sie waren fasziniert von den Körpern, die sie selbst nie haben würden; von den Designer-Kleidern, für die sie einen Monatslohn hätten hinblättern müssen; von den hinreißenden Gesichtern, die ihnen überall im Land von Zeitungsständern entgegengelächelt hatten. Doch bei diesem speziellen Mann hatte sie sich anders gefühlt, irgendwie beunruhigt.
    Es war nicht nur seine massive Erscheinung – er maß ungefähr einsneunzig und hatte kräftige Oberschenkel und lange baumelnde Arme. Was ihr wirklich Sorgen gemacht hatte, war die Art, wie er sie durch seine klobige, unmoderne Brille gemustert hatte – sein Gesichtsausdruck hatte irgendwie allzu vertraulich gewirkt.
    Als wüsste er eine ganze Menge über sie.
    Kari war es eiskalt den Rücken heruntergelaufen, als ihr klar geworden war, dass auch er ihr vertraut vorkam – sie hatte ihn schon bei anderen Jobs bemerkt.
    Verdammt, dachte sie, ich habe einen Stalker.
    Zuerst war David Dale bei Foto-Sessions aufgetaucht, wie beispielsweise in Pacific Grove in Kalifornien, wo er seinen Pickup in der Nähe parkte und sich einfach schweigend außerhalb des Sets aufhielt. Dann lief sie ihm auch bei den Model-Agenturen über den Weg, von denen sie vertreten wurde.
    Er begann, ihr lange Briefe über sich zu schreiben: seine einsame, kummervolle Kindheit, der Tod seiner Eltern, seine früheren Freundinnen (die Geschichten klangen erfunden), seine gegenwärtige Arbeit als Umwelttechniker (Kari las Hausmeister), der Kampf mit seinem Gewicht, seine Vorliebe für Dungeons-and-Dragons-Computerspiele, seine Lieblingssendungen im Fernsehen. Außerdem verfügte er über eine beängstigende Menge an Informationen über sie – wo sie aufgewachsen war, was sie in Stanford studiert hatte, ihre Vorlieben und Abneigungen. Er hatte eindeutig sämtliche Interviews gelesen, die sie jemals gegeben hatte. Schließlich machte er ihr auch Geschenke, normalerweise harmlose Gegenstände wie Hausschuhe, Kalender, Bilderrahmen oder Kugelschreiber- und Bleistiftsets. Verstörender war dagegen, dass er ihr manchmal auch Unterwäsche schickte: geschmackvolle Stücke von Victoria’s Secret in ihrer exakten Größe, mit einer höflich beigefügten Geschenkkarte. Sie warf alles weg.
    Kari ignorierte Dale wo immer möglich, doch als er den grauen Pickup zum ersten Mal vor ihrem Haus im kalifornischen Santa Monica abstellte, stürmte sie hinaus und stellte ihn zur Rede. Daraufhin zupfte er an seinem kaputten Ohr, atmete asthmatisch und ignorierte ihre Wut hartnäckig. Stattdessen starrte er einfach mit bewundernden Blicken in ihr Gesicht und stotterte: »Schön… schön.« Entnervt kehrte sie ins Haus zurück. Dale dagegen griff glücklich nach einer Thermoskanne und fing an, Kaffee zu trinken. Bis Mitternacht parkte er auf ihrer Straße – ein Verhalten, das bald zum täglichen Ritual werden sollte.
    Dale verfolgte sie auf der Straße. Er setzte sich in Restaurants, wenn sie dort aß, und ließ ihr gelegentlich eine

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