Todesreigen
Flasche billigen Wein an den Tisch bringen. Sie legte sich eine Geheimnummer zu und ließ ihre Post ins Büro ihres Agenten schicken. Trotzdem gelang es ihm immer noch, ihr Nachrichten zukommen zu lassen. Kari gehörte zu den wenigen Menschen in Amerika ohne E-Mail oder Computer; sie war sicher, dass Dale ihre Adresse herausfinden und sie mit Nachrichten überschwemmen würde.
Natürlich ging sie zur Polizei. Dort tat man, was man konnte, aber das war nicht viel. Beim ersten Besuch in Dales heruntergekommener Wohnung in einer billigen Gegend fanden die Polizisten eine Kopie des staatlichen Anti-Stalking-Gesetzes mitten auf seinem Couchtisch. Einzelne Absätze waren unterstrichen; David Dale wusste ganz genau, wie weit er gehen durfte. Trotzdem konnte Kari einen Friedensrichter davon überzeugen, eine einstweilige Verfügung zu erlassen. Da Dale nie etwas ausdrücklich Illegales getan hatte, beschränkte sich die Verfügung allerdings darauf, ihm das Betreten ihres Besitzes zu untersagen. Was er ohnehin nie getan hatte.
Der Vorfall, der ihr schließlich den Rest gegeben hatte, war im letzten Monat passiert. Dale hatte sich angewöhnt, die wenigen Männer zu verfolgen, mit denen auszugehen Kari die Frechheit besaß. In diesem Fall hatte es sich um einen jungen Fernsehproduzenten gehandelt. Eines Tages war Dale im Fitnessclub des Mannes in Century City aufgetaucht, um ein kurzes Gespräch mit ihm zu führen. Anschließend hatte der Produzent ihre Verabredung für den Abend abgesagt und die schroffe Nachricht hinterlassen, dass er es vorgezogen hätte, wenn sie ihn von ihrer Verlobung in Kenntnis gesetzt hätte. Karis Anrufe beantwortete er nicht.
Dieser Vorfall hatte immerhin einen weiteren Besuch der Polizei nach sich gezogen. Doch diesmal fanden die Cops nur eine leere Wohnung vor, und auch der Pickup war verschwunden.
Kari wusste, dass er zurückkommen würde. Und deshalb hatte sie beschlossen, das Problem ein für alle Mal zu lösen. Sie hatte sowieso nie vorgehabt, den Modelberuf länger als ein paar Jahre auszuüben. Jetzt erschien ihr der Zeitpunkt zum Aussteigen gekommen. Sie setzte nur ihre Eltern und einige enge Freunde ins Bild und beauftragte eine Immobilienfirma mit der Anmietung eines Hauses. Sie zog nach Crowell, Massachusetts, eine Stadt, die sie vor einigen Jahren anlässlich einer Foto-Session besucht hatte. Im Anschluss an den Job war sie einige Tage geblieben, in denen sie sich in die frische Luft und die dramatische Küste verliebt hatte – und auch in die Bewohner der Stadt. Sie verhielten sich freundlich, aber erfrischend reserviert ihr gegenüber; ein schönes Gesicht rangierte in der asketischen Werteskala Neu-Englands nicht besonders hoch.
Sie hatte L.A. um zwei Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag verlassen, überwiegend Nebenstraßen benutzt, war Umwege gefahren und hatte viele Pausen eingelegt, bis sie ganz sicher war, Dale entkommen zu sein. Während sie quer durchs Land fuhr, versetzte die Aussicht auf ein neues Leben sie in Hochstimmung – und sie verbrachte viel Zeit damit, sich Dales Selbstmord auszumalen.
Aber jetzt wusste sie, dass der Dreckskerl äußerst lebendig war. Und irgendwie hatte er herausgefunden, wohin sie gefahren war.
Sie hockte zusammengekauert im Wohnzimmer ihres neuen Hauses und hörte, wie der Motor des Pickups angelassen wurde. Er lief unruhig, und die Auspuffgase knatterten in dem rostigen Rohr – Geräusche, die ihr im Laufe der Jahre viel zu vertraut geworden waren. Langsam entfernte sich der Wagen.
Kari weinte leise vor sich hin. Sie schloss die Augen, und neun Stunden später erwachte sie auf der Seite liegend, die Knie an den Körper gezogen und die Pistole Kaliber .38 an die Brust gedrückt. Genau so war sie als kleines Mädchen jeden Morgen aufgewacht, wie ein Ball zusammengerollt und an ihren Bären gekuschelt, den sie Bonnie nannte.
Am späten Vormittag saß eine verbitterte Kari Swanson im Büro von Detective Brad Loesser, dem Leiter der Abteilung für Gewaltverbrechen der Polizei von Crowell, Massachusetts.
Loesser, ein stämmiger Mann mit beginnender Glatze und quer über die Nase gesprenkelten Sommersprossen, lauschte ihrer Geschichte voller Sympathie. Schließlich schüttelte er den Kopf und fragte: »Wie hat er herausbekommen, dass Sie hier wohnen?«
Sie zuckte die Schultern. »Ich kann mir nur vorstellen, dass er einen Privatdetektiv engagiert hat.« Wenn es um Kari Swanson ging, entwickelte David Dale stets den nötigen
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