Todesrennen
durch«, war alles, was der Polizist einzuräumen bereit war.
Bell wechselte das Thema. »Was für ein Mensch war Marco Celere?«
»Keine Ahnung.«
»Haben Sie Celere niemals zu Gesicht bekommen? Soweit ich weiß, ist er im vergangenen Sommer hierhergekommen.«
»Hat sich da oben im Frost-Camp immer von den anderen ferngehalten.«
Bell schaute aus dem Fenster hinaus auf die Hauptstraße von North River, die im Morast versank. Es war ein warmer Frühlingstag, doch es wimmelte von Kriebelmücken, daher wagten sich nur wenige Leute nach draußen. Außerdem herrschte das, was der Bahnhofsvorsteher »Schlammwoche« nannte, wenn der Boden nach dem langen Winter endlich auftaute und man knietief im Morast versank. Die einzigen Fakten, die der wortkarge Polizist geäußert hatte, betrafen seine Begegnung mit dem Bären. Jetzt wartete Hodge schweigend, und Bell vermutete, dass der redefaule Hinterwäldler nicht einen einzigen Ton mehr von sich gegeben hätte, hätte er ihm keine weitere Frage gestellt.
»Abgesehen von Josephine Frosts Meldung«, fragte Bell, »welchen weiteren Beweis für die tödlichen Schüsse gibt es noch?«
»Celere ist verschwunden. Desgleichen Mr. Frost.«
»Aber ansonsten haben Sie keinen direkten Beweis, oder?«
Constable Hodge zog eine Schublade auf, griff hinein und legte fünf leere Patronenhülsen aus Messing auf den Tisch. »Die fand ich am Rand der Wiese – genau dort, wo Mrs. Frost ihn gesehen hat, als er die Schüsse abfeuerte.«
»Darf ich?«
»Nur zu. Bedienen Sie sich.«
Bell nahm mit seinem Taschentuch eine Hülse hoch und untersuchte sie. »Kaliber .45-70.«
»Sie stammen aus seiner Marlin.«
»Warum haben Sie die Patronenhülsen nicht dem Bezirksstaatsanwalt gegeben?«
»Er hat nicht danach gefragt.«
»Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, ihm davon zu erzählen?«, fragte Bell geduldig.
»Ich dachte, sein Fall sei mit Mrs. Frost als Augenzeugin hieb- und stichfest.«
»Gibt es irgendjemanden, der mir zeigen kann, wo die Schüsse gefallen sind?«
Zu Bells Überraschung sprang Hodge von seinem Stuhl auf. Er kam um den Tisch herum, wobei sein Holzbein auf den Fußboden stampfte. »Ich bringe Sie hin. Wir sollten lieber im General Store vorbeischauen und ein paar Zigarren kaufen. Der Rauch verscheucht die Mücken.«
Dicke Qualmwolken unter ihren Hutkrempen hervorpaffend, fuhren der North-River-Polizist und der hochgewachsene Detektiv in Hodges Model A Ford den Berg hinauf. Als die Straße endete, befestigte Hodge einen Holzring an seiner Prothese, damit sie nicht in den Morast einsank, und dann setzten sie den Weg zu Fuß fort. Für etwa eine Stunde folgten sie verschiedenen Wildpfaden, bis sie nach einem dichten Wäldchen aus Kiefern und Birken eine Wiese erreichten, die mit verfilztem Gras bewachsen war, das vom Winter noch braun aussah.
»An diesem Baum hier habe ich die Patronenhülsen gefunden. Freies Schussfeld bis zum Rand der Schlucht, wo Mrs. Frost Celere hat abstürzen sehen.«
Bell nickte. Die Felskante befand sich einhundertfünfzig Meter von den Bäumen entfernt am anderen Ende der Wiese. Mit einer Marlin ein leichter Schuss – sogar ohne Zielfernrohr.
»Was, denken Sie, hat Celere da draußen an der Felskante getan?«
»Er hat Ausschau gehalten. Der Butler erzählte mir, sie seien auf Bärenjagd gewesen.«
»Da er auf diese Art und Weise vorausgegangen ist, musste Celere Mr. Frost vertraut haben, oder?«
»Die Leute erzählen, dass ihm Mr. Frost Flugzeuge abgekauft hatte – für seine Frau. Ich denke, dass er keinen Grund hatte, einem guten Kunden zu misstrauen.«
»Haben Sie Celeres Gewehr gefunden?«, fragte Bell.
»Nein.«
»Was ist Ihrer Meinung nach damit geschehen?«
»Es liegt auf dem Grund des Flusses.«
»Gilt das auch für sein Fernglas?«
»Wenn er eins hatte, sicher.«
Sie gingen zum Rand der Schlucht. Isaac Bell ging daran entlang und war sich bewusst, dass er hier sicherlich keinerlei Spuren von irgendeinem Vorfall finden würde, der stattgefunden hatte, ehe der Winter angebrochen und Schnee gefallen und wieder getaut war. An einem Punkt in der Nähe eines einzelnen Baumes, der wie ein einsamer Wachtposten an der Felskante stand, an die er sich mit seinen Wurzeln klammerte, bemerkte er einen schmalen Vorsprung, der dicht darunter verlief. Er erschien wie eine zweite Felskante, zwei Meter tiefer und knapp anderthalb Meter breit. Ein abstürzender Körper hätte dieses Felsband überwinden müssen, um im Fluss zu landen.
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