Todesrennen
Schultern und Oberkörper ungeschützt. Der Motor befand sich vor ihm – an seinem sichersten Ort, wie Eddison-Sydney-Martin erklärte, da er den Piloten bei einem Zusammenstoß oder Absturz nicht sofort zerschmetterte. Vor dem Motor glänzte ein drei Meter langer, zweiflügeliger Propeller aus poliertem Nussbaum – der teuerste Platz dafür, wie Joe Mudd bemerkt hatte. »Wenn Sie auf der Nase landen, dann kostet es Sie einhundert Dollar für einen neuen.«
Bell bewegte die Lenksäule und beobachtete, welche Auswirkungen seine Aktion auf die Tragflächen hatte. Draußen an den Enden, jeweils etwa sechs Meter rechts und links von ihm, bewegten sich die alettoni an Scharnieren auf und nieder. Er blickte an dem schlanken Rumpf entlang, dessen Träger und Verstrebungen mit straff gespanntem Seidenstoff bedeckt waren, um den Luftwiderstand zu verringern, und drehte das Rad. Das Seitenruder klappte nach links und rechts. Er zog das Rad zu sich heran. Die Steigklappen am horizontalen Schwanzleitwerk stellten sich auf. Wenn sie das im Flug taten, müsste die Maschine theoretisch aufsteigen.
»Los, drehen Sie!«
»An die einhundert Flieger sind schon bei Unfällen ums Leben gekommen«, warnte Andy ihn bereits zum dritten Mal an diesem Morgen.
»Und Bergsteiger stürzen aus Felswänden ab. Drehen Sie endlich!«
Moser verschränkte die Arme vor der Brust. Er war einer der stursten Männer, die Bell je kennengelernt hatte. Sein Vater war Polizist gewesen, und Moser entwickelte einen polizistentypischen unüberwindbaren Widerstand gegen alles, was ihm nicht gefiel. Dieser Widerstand wurde außerdem durch einen unerschütterlichen Glauben an die Technik gestützt und verstärkt. Er kannte sich mit Maschinen aus, liebte sie und schwor auf sie.
»Ich weiß, dass die Maschine flugbereit ist, weil ich sie eigenhändig zusammengebaut habe. Ich weiß, dass wir um sie herumgegangen sind und jedes bewegliche Teil und jeden Spanndraht überprüft haben. Und ich weiß außerdem, dass der Motor flugbereit ist, weil ich die Zylinderköpfe einzeln abgenommen habe, um den Zündzeitpunkt und den Druck zu justieren. Das Einzige, von dem ich noch nicht weiß, ob es flugbereit ist, ist der Lenker, Mr. Bell.«
Isaac Bell fixierte seinen überängstlichen Mechaniker mit ernstem Blick.
»Wenn Sie mir dabei helfen wollen, Josephine zu beschützen, sollten Sie sich lieber an den Gedanken gewöhnen, dass Van-Dorn-Agenten die Lösung der ihnen gestellten Aufgaben stets umgehend in Angriff nehmen. Ich habe beobachtet, wie Aviatoren zu starten pflegen, seit ich den Belmont Park das erste Mal betreten habe. Als ich meine American Eagle erwarb, habe ich sowohl Josephine Josephs wie auch Sir Eddison-Sydney-Martin über ihre Technik ausgefragt. Ich habe auch Joe Mudd ausgiebig auf den Zahn gefühlt, weil die Navigation seiner Liberator eine besonders sichere Hand beim Lenken einer Flugmaschine erfordert. Alle sind sich darin einig, dass diese Breguet-Steuerung das Erlernen bedeutend einfacher macht. Zu guter Letzt« – Bell lächelte – »habe ich jede Ausgabe von Aeronautics und Flight seit Erscheinen dieser Magazine von vorn bis hinten gelesen – ich weiß also, was ich tue. «
Bells Lächeln verflüchtigte sich wie das Licht eines mit einer Schrotflinte ausgeschalteten Suchscheinwerfers. In seinen Augen klirrte auf einmal beißende Dezemberkälte. » Drehen! Sie! Endlich! Den! Propeller! «
»Ja, Sir!«
Bell öffnete den Benzinhahn und brachte das Luftventil in Leerlaufposition. Wie er gelernt hatte, musste beim Gnome-Sternmotor der Pilot die Funktion der Vergasersteuerung übernehmen.
Andy Moser drehte mehrmals am Propeller und sog dadurch Benzin in den Motor. Bell legte die Hand auf den Magnetschalter.
»Kontakt! «
Andy packte den Propellerflügel mit beiden Händen, spannte seinen langen, kräftigen Rücken zu einem kraftvollen Zug und machte einen Satz zurück, ehe er in der Mitte durchgeschnitten wurde. Der Motor sprang an, hustete kurz und stieß blauen Qualm aus. Bell ließ ihn einige Sekunden lang warm laufen. Als sich der Klang veränderte, öffnete er das Luftventil vollständig. Der Qualm wurde dünner. Die funkelnden Zylinder aus Nickelstahl und der glänzende Propeller verschwammen vor den Augen, während sie mit einem kraftvollen Flappen zur höchsten Umdrehungszahl hochliefen. Noch nie hatte er erlebt, dass ein Motor so glatt und sauber seine Arbeit verrichtete. Bei zwölfhundert Umdrehungen pro Minute lief er so rund wie
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