Todesriff

du, warum?”
    „ Warum?”, fragte er leise, nah an ihrem Ohr.
    „ Weil sie auf die Seegurken scharf waren.”
    Er blickte sie fragend an, und sie lachte wieder.
    „ Seegurken, du weißt schon, die Dinger ...” Sie machte eine unmissverständliche Geste. Er lachte auch
und
küsste sie auf den Mund. Seine Lippen schmeckten nach Meer. Es war richtig, die düsteren Gedanken zu verscheuchen, dachte sie noch.
    „Weißt du, dass hier mehr als fünfhundert Schiffe untergegangen sind? geworden. James Cook ist übrigens mit seiner Endeavour in der Nähe von Cape Tribulation auf Grund gelaufen”, redete sie weiter. Seine Augen suchten ihre, was
sie
für einen Moment verstummen ließ.
    „ Wusstest du, dass eines der berühmtesten Wracks, das hier unten liegt, die Fregatte Pandora der Königlich Britischen Marine ist?” Ihre Stimme zitterte, bemerkte sie, und es fiel ihr immer schwerer, sich auf das Steuern zu konzentrieren. „ Sie war auf dem Weg von Tahiti nach England. An Bord befanden sich die Meuterer der Bounty , die vor Gericht gestellt werden sollten. Die meisten wurden gerettet.”
    „ Waren sie dann frei?”
Seine Hände legte
n
sich um ihre Taille
.
    „ Aber nein! Man hat sie natürlich nach England gebracht und vor das Kriegsgericht gestellt!” Unvermittelt rückte er ein wenig von ihr ab.
    „ Warum hat man s ie nicht freigelassen? Sie hätten doch hier ein neues Leben anfangen können. Andere Gefangene hat man auch hierher gebracht.” Er blickte geradeaus durch die getönte Scheibe, die das Meer noch tiefer blau und türkis färbte.
    Sie hatte das Tempo erhöht, die Motoren brummten lauter, die Gischt spritzte, und s ie musste jetzt fast schreien. „ Das war damals eben so.” Sie wollte diese Unterhaltung beenden, die plötzlich einen aggressiven Ton angenommen hatte. Doch dann konnte sie sich nicht zurückhalten zu fragen: „ Wieso kennst du dich eigentlich hier im Gewässer aus?”
    Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. „ Ich bin öfter mit Nick rausgefahren.”
    „ Der stämmige Typ, der am Steg auf uns gewartet hat?”
    Er nickte.
    „ Gehört ihm das Boot, mit dem ihr an meiner Yacht wart, als die Haie kamen?”
    „ Nein,
einem Freund”, gab er knapp zurück.
    Sie betrachtete ihn. Es schien ihm unangenehm zu sein, darüber zu reden. Aber sie wollte es ihm nicht so leicht machen - sie musste fü r sich ein paar Fragen klären.
    „ Ich habe
gerufen: ‚Schieß !‘ , als ich den Hai auf Greg zukommen sah.” Sie atmete tief durch, sah Steve dann fest in die Augen. „ Du hast auf mich gezielt, simmt’s? ”
    Er drehte sich weg, sah geradeaus.
    „Oder hab ich mich geirrt? ”
    Wied er antwortete er zunächst nicht bis er, ohne sie anzusehen, wieder mit tonlo ser Stimme zu sprechen begann: „ Ein Prozent der Kampfpiloten im Zweiten Weltkrieg hat fast vierzig Prozent der Toten im Luftkrieg verursacht. Neunundneunzig Prozent der amerikanischen Air Force-Piloten im Zweiten Weltkrieg haben kaum versucht, wirklich zu tref fen.” Er blickte sie jetzt an. „ Das heißt, nur ein Prozent der Soldaten wollte überhaupt töten.”
    Annabel wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
    „ Soldaten durchlaufen ein Training, um die normale Tötungshemmung zu schwächen” , fuhr er fort und sah sie an. „ Ihnen wird ein Reflex antrainiert. Immer, wenn eine Zielscheibe hochgeht, müssen sie darauf schießen. Und die Zielscheiben sollen so menschlich wie möglich aussehen.”
    „ Warum erzähls t du mir so etwas?”, fragte sie plötzlich befremdet.
    Er
deutete geradeaus. „ Ist das Jeff’s Point?”
    Mitten im Blau des Pazifiks lag, umfasst von einem Ring türkis leuchtenden Wassers, ein Flecken weißen Sandes, auf dem Palmen und niedrige Büsche wuchsen. Die kleine Insel maß sicher nicht mehr als zweihundert Quadratmeter. Sie war aus einem Korallenriff entstanden, das bei Ebbe aus dem Wasser geragt hatte. Im Laufe von Jahrtausenden waren Sand und Korallenschutt herangeschwemmt worden. Es hatte sich langsam angesammelt, bis das Riff auch bei Flut nicht mehr überspült worden war. Wind, Vögel und Wasser trugen Samen heran, und nach und nach wuchsen Pflanzen.
    Etwa fünfzig Meter vor der Insel legte Annabel den Hebel um, der Motor blubberte, dann war es still. Nur das schmatzende Geräusch der an die Bordwand schwappenden Wellen und die kurzen Pfiffe des Windes waren zu vernehmen.
    „ Ich will endlich wissen, wer du bist”, sagte sie in diese Stille hinein. Er kletterte die Leiter