Todesriff
gewusst.“
„Genau.“ Er hob das frische Glas und trank es in wenigen Zügen aus. „Gehen wir?“ Er musste nach Hause, sonst konnte er bald für nichts mehr garantieren.
44
Wieder ein Motel. Irgendwo. Zwischen Rockhampton und Mackay. Den Namen des Ortes hatte er schon vergessen. Zehn Stunden Fahrt hatten ihn erschöpft. Im Spiegel starrte ihn ein Fremder an. Beim Zähneputzen wandte er sich ab.
Der Wasserkocher im Motelzimmer brodelte. Das Geräusch erinnerte ihn an bessere Tage und an ihren letzten gemeinsamen Morgen ...
Er hängte den Beutel in die Tasse und goss das dampfende Wasser aus dem Kocher darauf. Damals hatten sie den Tee nicht mehr trinken können. Er hatte für sie beide Tee kochen wollen, war hinunter in die Küche gegangen, während sie noch oben in dem kargen Zimmer im Bett gelegen hatte, unter der Decke, die sie und ihn die Nacht über gewärmt hatte. Ihre Haut schmeckte nach Vanille und ihre Brüste dufteten nach Himbeeren. Ihr langes Haar deckte an diesem Morgen ihr elfenbeinfarbiges Gesicht zu, als müsste es geschützt werden - vor dem brutalen Angesicht der Wirklichkeit.
Schüsse waren die Nacht über in ihr Zimmer gedrungen, eine Explosion, irgendwo, vielleicht wieder ein Haus oder ein Auto, das in rasender Fahrt einen Abhang hinuntergeflogen war. Vielleicht war es auch eine Bombe, auf die jemand getreten war ...
Er zündete den Gaskocher an, stellte den zerbeulten Topf auf die Flamme ... und dachte für einen Moment an Jennifer und die Kinder zu Hause. Er wusste nicht, was er ihnen sagen würde. Hier
am Rande des Todes, wurde jede Minute ein Stück geschenktes Leben. Es spielte keine Rolle, dass sie in einem kalten, zugigen Haus wohnten, dass es nur manchmal warmes Wasser gab - er wusste nun, dass man zum G lücklichsein kein Reihenhaus mit Garage, Garten und Fernseher, kein Auto und keine Urlaubsreisen brauchte. Ihm war auf einmal, als hätte er sein vergangenes Leben im Schlaf verbracht ...
Er wollte gerade den Tee aufgießen, als sie mit ihren Kalaschnikows, Kampfanzügen und schwarzen Stiefeln vor ihm standen - den Topf mit dem heißen Wasser schlug ihm einer von ihnen mit dem Gewehrkolben aus der Hand. Mira rief nach ihm, als sie den blechernen Aufprall des Topfes hörte. Er wollte schreien, sie warnen, doch schon stieß man ihm den Gewehrkolben in den Magen, und er sackte zusammen. Als er wieder aufsah, hatten sie sie heruntergezerrt. Sie war nackt.
„ Nein!”, schrie er und erschrak über die Lautstärke seines Schreis. “Nein!” Weiter wollte er sich nicht erinnern. Sie hatten ihn ausgelacht, als er für Mira hatte sterben wollen. Dein Leben ist genauso einen Dreck wert wie ihres. Ihr werdet beide sterben. Miras letzter Blick war ein stummer Hilfeschrei gewesen. Und er hatte versagt.
Er schleuderte die Tasse mit dem heißen Tee an den Spiegel neben der Motelt ür. Als d er zerbrach, starrte er auf eine makellos weiße Wand. Warum war sie exekutiert worden - warum sollte er exekutiert werden? War es nur Zufall? Irrtum? Beliebigkeit? Sie hatte ihn gekannt, Andrew Barber. Was für ein lächerlicher Name. Sie hatte ihn gekannt, davon war er immer stärker überzeugt.
45
Nach zehnminütiger Fahrt bog Annabel von der Port Douglas Road in die Langley Road ab, die nach einer Rechtsbiegung in die Reef Street überging. Vor der Einfahrt zum Campingplatz stellte sie ihren Wagen ab und eilte auf demselben Weg wie am Vormittag zum Wohnwagen. Vielleicht war die Po liz ei ja schon dort gewesen und hatte Steve und Nick nicht angetroffen. Sie musste
mit
Steve
reden
. Es war falsch, dass sie ihn verraten hatte. Hoffentlich finde ich ihn, dachte sie.
Doch sie durchs Fenster in den Wohnwagen sah, bot sich ihr dasselbe chaotische Bild wie am Vormittag. Auch die Tür schien in der Zwischenzeit nicht geöffnet worden zu sein.
„ Hi, Miss, zu wem wollen Sie
denn
?” Ein alter, Mann mit kurzen Hosen und zerrupftem Bart stand am benachbarten Wohnwagen.
„ Wohnt denn da niemand mehr?”, rief sie zu ihm hinüber. Er musterte sie. „ Die Po liz ei war gerade da , aber war niemand zu Hause.”
„Was wollte die Polizei denn?“
„ Die hatten untereinander `ne Schlägerei. Wahrscheinlich deshalb. ”
Sie erinnerte sich an Steves Bluterguss am Kinn, als er an ihrem Auto gelehnt und auf sie gewartet hatte.
„Wissen Sie, ob sie wieder zurückkommen?“
Der Mann hob wieder die Schultern. „ Da müssen Sie mal Ernestine an der Rezeption fragen.” Er kümmerte sich nicht weiter
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