Todesritual: Thriller (German Edition)
noch dunkler, der Regen dichter, sie konnten nur noch wenige Zentimeter weit sehen. Sie wussten kaum, wo sie waren.
Max fuhr an den Straßenrand.
Und da saßen sie, während das Gewitter auf den Wagen einstürmte, ihn peitschte und schüttelte und davonzuschwemmen versuchte.
Benny summte eine Melodie, die Max bekannt vorkam, ein Kirchen- oder Weihnachtslied vielleicht, seine Stimme klang hoch und vom Delirium gefärbt. Er brauchte einen Arzt, Antibiotika und Ruhe. Max wusste nicht, was er mit ihm anstellen sollte. Sie hatten noch zwei Tage Zeit, bis sie das Boot nehmen mussten, aber die Infektion war stärker als Benny. Max konnte sehen, riechen und spüren, wie sie seinen unfreiwilligen Begleiter übermannte.
Er musste die Dascals finden.
Er musste Vanetta Brown finden.
Und irgendwie musste er nebenbei auch der kubanischen Polizei und dem Abakuá aus dem Weg gehen.
Warum hatte er Wendy Peck nicht zum Teufel gejagt und sein Glück mit dem amerikanischen Rechtssystem versucht?
Wenn er noch einmal zu dieser Begegnung in Little Havana zurückkehren könnte, würde er eine andere Wahl treffen?
Natürlich nicht.
Man brauchte diese Frau nur anzusehen, um zu wissen, dass sie ihre Drohung wahrgemacht hätte. Sie hätte alle Hebel in Bewegung gesetzt, hätte alle angerufen, die ihr noch etwas schuldig waren, damit er auf jeden Fall in den Knast wanderte. Und einmal drin, wäre er nicht wieder herausgekommen. Vor Jahren war er seiner gerechten Strafe entgangen, aber dieses Mal hätte die Gerechtigkeit ihn doch noch eingeholt. Er wäre nicht nur wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung verurteilt worden.
Noch dazu war es nicht nur Peck, die ihn hierhergebracht hatte.
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, wenn er dem Menschen in die Augen schaute, der er wirklich war, dann musste er sich eingestehen, dass er auch ohne sie nach Kuba gefahren wäre. Er hätte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Und in jüngeren Jahren wäre er sogar bereit gewesen, Vanetta Brown für das, was sie getan hatte, umzubringen. Jetzt aber wollte er eigentlich nur mit ihr reden. Er wollte ihr in die Augen schauen und hören, wie sie sich und ihr Handeln erklärte und rechtfertigte. Dabei war es ihm egal, ob sie recht hatte oder nicht, ob er Mitgefühl oder Hass empfinden würde, nachdem sie ihre Geschichte erzählt hatte. Seine Erinnerung an seinen besten Freund war bereits beschmutzt von Geheimnissen, die langsam ans Licht kamen. Er wollte einfach nur noch den Rest wissen. Wie er reagieren würde, was er mit ihr anstellen würde, das wusste er nicht. Womöglich war sie ja gar nicht schuldig.
Nach einer Weile schlug der Wind um und kam jetzt von hinten, wodurch der Regen ganz kurz aussetzte und sie zum ersten Mal sehen konnten, wo sie waren.
Eine breite Straße. Gegenüber pastellfarbene Gebäude mit ebenjenen Terrakottadächern, die auch in Coral Gables so angesagt waren. Dann wieder der Regen, das Wasser rann über die Dachziegel, platschte laut auf den Gehweg und schwemmte in schmutzigen Wogen auf die Straße. Sie parkten vor einer langen Reihe kleiner Geschäfte, deren Eingänge von rot-weiß gestreiften Kunststoffmarkisen geschützt wurden. Die hölzernen Ladenschilder, von den Elementen gepeitscht, schwangen wild in ihren Angeln hin und her. Zwei Straßenlampen gingen in unregelmäßigen Abständen an und wieder aus, als wollten sie Entschlossenheit und Ausdauer des Sturms auf die Probe stellen. Die Läden waren beleuchtet, und hinter den Schaufenstern sah Max Gesichter, die in den Sturzregen hinausblickten.
Die Straße kam ihm irgendwie bekannt vor. Überall in Kuba gab es etwas, das ihn an zu Hause erinnerte, und diese Straße hatte Anklänge an Key West. Max musste an Captain Tony’s Saloon auf der Greene Street und den alten Mann mit dem Papagei auf der Schulter denken, der ihm von dem berühmtesten Stammgast erzählt hatte, Ernest Hemingway, und wie der alte H. hatte immer irgendwelche Fremden mitgebracht hatte, literaturverrückte Groupies oder Möchtegern-Schriftsteller auf Pilgerreise, und sie hilflos betrunken machte. Und wenn die Kneipe dann schloss und alle nach draußen taumelten, hatte Hemingway sie auf offener Straße mit einem rechten Haken zu Boden geschickt. Max wusste nicht mehr, wie der Alte ausgesehen hatte, aber er erinnerte sich an den Papagei, der in drei Sprachen »Schwanzlutscher« sagen konnte.
Der Papagei …
Max zog das Foto von Joe und Vanetta aus der Tasche. Da war es, im Hintergrund: die
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