Todesritual: Thriller (German Edition)
Kleider, seine Schuhe und Perücken warf er ins Wasser und sah ihnen nach, wie sie von der Strömung davongetragen wurden – wie einem Liebhaber in einem abfahrenden Zug.
Max strich die Motorhaube rot und das Heck blau. Er schmierte die Farbe mit groben Pinselstrichen auf, und sie reichte nicht für die Seiten, trotzdem war der Firedome kaum wiederzuerkennen.
Als er fertig war, warf er die Farbdosen ins Schilf und griff sich in die Hemdtasche, um das Mobiltelefon herauszuziehen. Es war nicht da. Er suchte alle Taschen ab und schaute im Wagen nach. Nichts. Das Telefon war weg. Es musste ihm bei der Schießerei aus der Tasche gefallen sein. Seine Gedanken wanderten sofort zu Rosa Cruz und was wohl passieren mochte, wenn die Polizei das Telefon fand – am Straßenrand oder in dem Lada, den er den Abhang hinuntergeschoben hatte, direkt neben der Leiche eines Polizisten. Für ihn selbst konnte es kaum noch schlimmer kommen, aber was hatte sie zu verlieren? Mehr oder weniger als er oder ungefähr gleich viel?
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Je weiter sie nach Osten kamen, umso mehr fühlte sich Max an Haiti erinnert. Die Dörfer hatten große Ähnlichkeit mit denen, die er dort gesehen hatte, die Lehmhütten schienen in einem Stück aus dem Boden gewachsen zu sein, bedeckt mit vom Wind herangewehtem Abfall, Eingänge und Fensterlöcher wie durch natürliche Erosion entstanden. Außenwände und Türen waren in betont knalligen, beißenden Farben gestrichen, Gelb und Blau, Orange und Grün, Rosa und Braun. An allen Hütten war die Staatspropaganda in aufwendige, detailreiche Voodoo-Malereien eingearbeitet, die Religion übertönte die Rhetorik. Diverse Gottheiten schauten lächelnd vom Himmel herab, sie ließen die Taube fliegen, die während Fidels Siegesansprache in Havanna im Jahr 1959 auf seiner Schulter gelandet war, die Götter kämpften Seite an Seite mit den Revolutionären gegen die Truppen Batistas, mit Hilfe der Götter wurde die Invasion in der Schweinebucht zurückgeschlagen, und die Götter wachten über Kuba, vor dessen Küsten Haie mit der amerikanischen Flagge auf der Flosse kreuzten. Die Botschaft war stumm, aber unmissverständlich: »Wir sind auf deiner Seite, Fidel, aber du stehst in unserer Schuld.«
Max hatte die Schrecken, die er in Haiti gesehen hatte, nie vergessen können: die Menschen, die zum Frühstück, Mittag und Abendbrot Erde mit Maismehl aßen; Cité Soleil, der Slum am Rande der Hauptstadt, in dem auf einer Fläche von zweieinhalb Quadratkilometern eine halbe Million Menschen in Pappverschlägen hausten, die buchstäblich auf Scheiße – menschlicher und tierischer – errichtet waren; und dann die Kinder, deren Augen an die Augenhöhlen eines Totenschädels erinnerten, deren Gesichter traurig und verwundert dreinschauten, als fragten sie sich, warum zur Hölle sie so dumm gewesen waren, den Bauch ihrer Mutter zu verlassen. Er war mit einem Gefühl latenter Wut nach Miami zurückgekehrt, dass dieses kaum noch atmende Drecksloch keine zweihundert Meilen entfernt lag, dass die reichste Nation der Welt mit angesehen hatte, wie in ihrem Hinterhof alles so dermaßen den Bach hinunterging.
Aber er war auch mit 20 Millionen Dollar in der Tasche nach Miami zurückgekehrt.
Er hatte sich bemüht, es wiedergutzumachen, auf seine Art. Er hatte zusammen mit Yolande Pétion die Detektei gegründet, weil er halb geglaubt und sich halb vorgemacht hatte, dem Land damit etwas zurückgeben zu können, den Haitianern eine Hilfe zu sein – als sei es ihm wichtig. An manchen Tagen hatte er seinen eigenen Schwachsinn sogar selbst geglaubt, die meiste Zeit aber hatte er gehofft, dass zumindest genügend Ehrlichkeit und guter Wille dabei waren, dass es irgendwann zur Wahrheit werden konnte.
Erst als Yolande ermordet wurde, hatte er seine Motivation durchschaut. Der alte, verquere Moralkodex, der sein ganzes Leben ruiniert hatte, gab noch immer den Ton an und bestimmte sein Handeln.
Joe hatte einmal gesagt, von Yolandes Tod an sei es für Max abwärtsgegangen, das sei der Beginn seines Abrutschs gewesen. Ein Irrtum. Joe hatte nichts von dem Geld aus Haiti gewusst. Joe hatte ihm die Lügen abgekauft, die Max ihm aufgetischt hatte, von Sandras Lebensversicherung, die endlich bezahlt habe, und dem Grundstück, das Sandras Mutter ihm hinterlassen und das er mit Gewinn verkauft habe. In Wahrheit hatte der erste Fehler darin bestanden, das Geld zu behalten, statt es der Polizei zu übergeben. Sekunden nach dieser Entscheidung hatte der
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