Todesritual: Thriller (German Edition)
auf die Straße gegangen und hat mich am helllichten Tag gezwungen, vor ihm auf die Knie zu gehen. Er hat mir seine Pistole in den Mund geschoben und mir befohlen, sie zu blasen, wie ich meinem Mann einen blase. Vor aller Augen. Und ich hab es gemacht, weil er mir sonst das Gehirn weggeblasen hätte. Und er sagte, wenn er mich noch einmal in seiner Bar sieht, bringt er mich und meine Familie um.«
Sie schwieg und griff nach dem Wasserglas, aber sie war nicht stark genug, es zu heben. Max reichte es ihr. Sie dankte ihm mit einem Lächeln, das hauptsächlich aus ihren Augen strahlte.
»Wenn ich nach dem Gesetz der Straße gelebt hätte, hätte ich Dan mit eigenen Händen umgebracht. Oder ich hätte Leute geschickt, es zu tun«, sagte sie. »Aber folgt man dem Auge-um-Auge-, Zahn-um-Zahn-Diktat bis zu seinem natürlichen Schluss, dann laufen alle blind durch die Gegend, und keiner kann mehr essen.«
»Also haben Sie ihn auf andere Art bekämpft.«
»Gandhi hat die Briten mit passivem Widerstand aus Indien vertrieben. Dr. King hat niemals Gewalt gepredigt«, sagte sie. »Ich habe die Schwarzen Jakobiner dazu gebracht, vor Dans Drogenhäusern Menschenketten zu bilden, damit niemand rein- oder rauskonnte. Wir hatten Sympathisanten in den Medien, die habe ich angerufen und ihnen erzählt, was läuft und was wir dagegen tun. Daraufhin kamen Journalisten und Kamerateams und haben uns gefilmt. Auch Dan haben sie ein paar Mal gefilmt. Er hat versucht, uns zu verjagen. Ist mit einer Horde bewaffneter Kerle angekommen, um uns Angst einzujagen. Die hatten immer Hunde dabei. Aber als er die Kameras sah, ist er wieder abgehauen. Zwei Monate ging das so. Die haben mehrere Jakobiner getötet und Brandbomben auf das Jakobinerhaus geworfen. Wir haben unsere Bemühungen daraufhin nur noch verstärkt. Wenn die Regierung der Weißen uns in der Bürgerrechtsbewegung nicht kleingekriegt hatte, dann erst recht nicht so eine kleine Kanalratte. Irgendwann ist Dan aus Overtown und Liberty City abgezogen. Wir haben das Jakobinerhaus zu einer Entzugsklinik umfunktioniert, und alle, die zu uns kamen, sind vom Heroin losgekommen. Wir dachten, wir hätten gewonnen.«
»Und dann kam die Razzia.«
»Richtig«, sagte sie. »Dann kam die Razzia. Ich wusste, wer Eldon Burns war, auf lokaler Ebene. Aber ich war ihm nie persönlich begegnet. Er hatte dieses Boxstudio. Die Leute haben gut über ihn geredet. Besonders die Jugendlichen, denen er das Boxen beigebracht hat. Die haben zu ihm aufgeschaut. Aber die Menschen in Overtown und Liberty City haben sich auch vor ihm in Acht genommen. Und das nicht, weil er weiß oder ein Bulle war, sondern wegen seinem Partner Abe Watson. Abe hatte einen sehr, sehr schlimmen Ruf. Für ihn war es ein Fluch, schwarz zu sein, und er hat es an seinen eigenen Leuten ausgelassen.«
Sie hielt inne und sah Max einen Moment lang an.
»Kennen Sie Eldon Burns?«, fragte sie. Ihre Augen waren klar. Warum redete sie in der Gegenwartsform von ihm?
»Ja, ich kannte ihn«, sagte Max. »Ich habe für ihn gearbeitet. Genau wie Joe. Wir waren Partner.«
»Joe hasst ihn«, sagte sie.
Wieder die Gegenwartsform.
»Ich weiß.«
»Und Sie?«
»Ich gehörte zu den Jugendlichen, die zu ihm aufschauten. Aber dann bin ich erwachsen geworden. Jetzt schaue ich auf ihn herab und auf alles, wofür er stand.«
Sie musterte Max, begutachtete ihn auf eine Weise, wie sie es bisher nicht getan hatte, als wollte sie in ihn hineinschauen und verstehen, welches Spiel er spielte. Sie hatte ihn nicht gefragt, was er von ihr wollte, was ihm komisch vorkam. Sie hatte seine Anwesenheit in ihrem Zimmer nicht in Frage gestellt. Fast, als hätte sie ihn erwartet. Max schrieb es den Medikamenten zu und der wenigen Zeit, die ihr noch blieb. Oder vielleicht hatte Joe von ihm erzählt.
»Zum Zeitpunkt der Razzia war ich in Miami Springs. Ich habe meine Tante Cecile besucht, sie war krank. Ich habe bei ihr übernachtet«, sagte sie. »Später hörte ich, dass die Polizei das Jakobinerhaus ohne Vorwarnung gestürmt hat. Sie haben Tränengas durch die Fenster gefeuert und sind wild um sich ballernd reingelaufen. Eldon Burns und Abe Watson haben die Razzia geleitet. Watson hat meinen Mann und meine Tochter erschossen. Und Dennis Peck. Das habe ich Jahre später in den Autopsie- und Ballistikberichten des FBI gelesen.«
Max hatte diese Berichte zweimal gelesen. Das FBI hatte die Leichname von Dennis Peck und Ezequiel und Melody Dascal bei Nacht und Nebel
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