Todesritual: Thriller (German Edition)
keine Rolle.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Miami.«
»Das ist weit weg.«
»Nicht so weit.«
»Sie wissen, was ich meine«, sagte sie und sah ihn an, sein Gesicht, seinen Kopf. »Wie ist das Wetter in Miami?«
»Keine Ahnung. Ich bin schon eine Weile hier. Ich habe Sie gesucht«, sagte er.
Er war sich sicher gewesen, dass ihm schon einfallen würde, was er sagen wollte. Seine Zeit war begrenzt, und im Grunde wollte er nur eines von ihr wissen: Haben Sie Joe umbringen lassen? Aber als er sie so sah, einen Geist, der in einem verdorrten, schmerzgeplagten Körper die Zeit abwartete, wusste er plötzlich nicht mehr so genau, was er sie fragen sollte. Die Frage kam ihm beinah belanglos vor.
»Sie wissen, dass ich im Sterben liege?«
Max nickte.
»Ich habe nicht mehr lange. Ein paar Tage vielleicht … nicht mehr allzu viele, hoffe ich«, sagte sie. »Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, hoffe ich, dass es das letzte Mal war. Und jedes Mal, wenn ich sie wieder aufschlage, bin ich … enttäuscht. Ein neuer Tag, wieder wach geworden vor Schmerzen. Schmerzen überall. Pillen zum Frühstück. Die Schmerzen lassen nach, und dann verbringe ich die Zeit damit zu schweben. Und zu warten. Ich kann nichts machen. Ich kann kaum lesen. Kaum denken. Wozu soll das gut sein?«
Er wusste nichts zu sagen. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut, ein Eindringling. Er wünschte sich an einen anderen Ort und bereute plötzlich, überhaupt hergekommen zu sein.
Sie lächelte schwach. »Tut mir leid, dass ich so morbid bin. Gehört wohl dazu. In letzter Zeit geht es mir etwas besser. Komisch. Bei meiner Schwiegermutter war das genauso … kurz bevor sie starb. Auf einmal sagte sie, sie wolle spazieren gehen, an die frische Luft. Plötzlich so ein Optimismus. Es ist nicht mehr dazu gekommen. Wissen Sie, was ich mir jetzt wirklich wünsche? Ich will nach Hause.«
»Nach Havanna?«
»Das ist nicht mein Zuhause.«
»Nach Amerika?«
Sie blinzelte zweimal und nickte leicht. »Ich will bei meiner Familie sein. Bei meiner Tochter und meinem Mann. Wann fliegen Sie zurück?«
»Ich weiß es noch nicht«, sagte er. »Wahrscheinlich bald.«
»Können Sie mich mitnehmen?«
»Nach Miami?«
»Ja.«
Fast hätte er nein gesagt, aber er riss sich zusammen. »Dort wird man Sie verhaften«, sagte er.
»Was noch von mir übrig ist.« Sie kicherte. »Meinetwegen gern.«
»Sie wollen doch nicht im Gefängnis sterben.«
»Was macht das für einen Unterschied?«, sagte sie. »Nehmen Sie mich mit?«
»Warum wollen Sie zurück?«
»Ich will bei meiner Tochter und meinem Mann begraben werden.«
»Würde man Sie nicht nach Hause fliegen, wenn Sie … wenn es zu Ende ist?«, fragte er.
»Wissen Sie, was passiert, wenn amerikanische Flüchtlinge hier in Kuba sterben? Die amerikanische Regierung lässt die Leichname nicht zurück ins Land.« Sie lächelte.
»Das wusste ich nicht.«
»Unterschätzen Sie niemals die kleingeistige Rachsucht unserer Regierung.«
Er hatte einen Weg gefunden, ihr die Frage zu stellen, die er stellen wollte. Er würde einen Umweg machen, mit ihr in ihre Vergangenheit gehen und dann vorwärts durch ihr Leben, bis sie zu dem kamen, was er wissen wollte.
»Vanetta«, fing er an. »Darf ich Sie Vanetta nennen?«
Sie nickte.
»Ich bin ein Freund von Joe … Joe Liston. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Ich weiß alles über Sie … was Sie durchgemacht haben. Ich habe alle Dateien auf den CDs gelesen, die Joe Ihnen gegeben hat. Und ich habe eins und eins zusammengezählt. Das meiste habe ich verstanden, wirklich.«
»Was haben Sie verstanden?« Sie lehnte sich ein klein wenig zu ihm vor, ihre Knochen knirschten und knackten, unter dem Nachthemd waren die Umrisse ihres Körpers kaum zu erkennen.
»Ich weiß, dass Sie Dennis Peck nicht erschossen haben«, sagte er.
»Alle Welt weiß das. Allen voran das FBI. Und trotzdem haben sie ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt und mir ein Schild um den Hals gehängt, für etwas, von dem sie wissen , dass ich es nicht war. Wissen Sie, wie die mich nennen? Eine Inlandsterroristin bin ich für die«, sagte sie bitter. »Dennis Pecks Töchter sind mit dem Hass auf mich groß geworden. Und dabei kennen die nicht einmal die Wahrheit über ihren eigenen Vater.«
Sie starrte ihn an, und einen Moment lang war das Feuer in ihren Augen stärker als ihre Gebrechlichkeit, stärker als ihr ausgemergelter Körper und die fragilen, zweigdünnen Glieder.
»Dennis Peck war ein
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