Todesritual: Thriller (German Edition)
und hielt alle, die je seinen Namen gehört hatten, in Angst und Schrecken. Er brachte Menschenopfer dar, machte seine Feinde mit Zaubertränken und Hypnose zu Zombies und setzte sie als Waffe ein – ein Privattrupp von Selbstmordattentätern. Und er schuf einen Mythos um sich selbst, machte sich schon zu Lebzeiten zur Legende, kreierte Schauermärchen, die Eltern abends ihren Kindern erzählten, damit sie – aus Angst – brav waren. Neuankömmlinge aus Haiti schworen Stein und Bein, Boukman sei die irdische Inkarnation von Baron Samedi, dem Voodoo-Gott des Todes. Andere hielten ihn für den Leibhaftigen selbst, weil er an mehreren Orten zur gleichen Zeit gesehen worden war. Fast alle waren sich einig, dass er ein Formwandler war – dass er nach Gutdünken jede beliebige äußere Erscheinung annehmen konnte, von der blutjungen kalifornischen Blondine bis zum alten schwarzen Mann. Kein Mensch wusste, wie er wirklich aussah. So zumindest lauteten die geflüsterten Gerüchte auf der Straße.
In Wahrheit war er nur ein Mensch – wenn auch ein kluger, skrupelloser Mensch und ein Strippenzieher, der sich selbst zur Spukgestalt ausstaffierte und auf Angst baute.
1981 hatten Max und Joe Boukman festgenommen, nachdem sie ihn durch Little Haiti verfolgt hatten. Boukman, der aus einer offenen Oberschenkelarterie blutete, war in einem leerstehenden Gebäude zusammengebrochen. Max hatte ihm die Wunde verbunden und ihn von Mund zu Mund beatmet. Dann hatten sie ihn verhaftet.
Ein Jahr später war Boukman vor Gericht gestellt, wegen Mordes für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden. Während des Verfahrens hatte er die Aussage verweigert und bei der Verhandlung kein einziges Wort von sich gegeben – bis Max seine Zeugenaussage abgegeben hatte und den Zeugenstand verließ. In diesem Moment hatte Boukman ihm in die Augen geschaut und ein einziges Mal sein Schweigen gebrochen: »Du gibst mir Grund zu leben«, hatte er gesagt.
Noch lange danach hatte Max an diese Worte denken müssen. Boukmans leises Zischen hatte sich in einem Winkel seines Geistes eingenistet und drang immer wieder als Echo zu ihm durch. Er verstand nicht, wie der Haitianer es gemeint hatte. War es eine Drohung, ein Versprechen oder das verzweifelte Getöse eines Untergehenden? Er hatte versucht, es zu vergessen, sich selbst zur Vernunft zu rufen. Aber der Fall setzte ihm zu, ließ ihn nicht mehr los. Als Max und Joe Boukman immer nähergekommen waren und seine Macht zu bröckeln begann, hatte der Haitianer Max entführt und gefoltert, hatte ihn zum Zombie gemacht und ihm eine Waffe in die Hand gedrückt, die er gegen Eldon und Joe hatte wenden sollen.
Im Traum hatte Max diese Erinnerungen ein ums andere Mal wieder durchlebt und war schreiend aufgewacht, um nach seinen Zigaretten, seinem Alkohol oder seinen Beruhigungsmitteln zu greifen. Sandra hatte ihm diese Friedensstifter einen nach dem anderen abgewöhnt, sodass er, wenn die Angst ihn aus dem Schlaf riss, nur noch nach ihr greifen konnte. Sie hielt ihn in den Armen und beruhigte ihn, bis er wieder eingeschlafen war. Nur ein böser Traum, sagte sie, Boukman sei längst Vergangenheit, und Träume vergingen. Und sie hatte recht.
Mit der Zeit waren die Albträume verblasst.
Dann musste Max ins Gefängnis.
Und Sandra starb ein Jahr vor seiner Freilassung.
Weshalb er diesen Auftrag in Haiti angenommen hatte – wo er Boukman das letzte Mal begegnet war, ungewollt und ohne es zu wissen.
Boukman hatte in der Todeszelle gesessen und auf das Ergebnis seines vorletzten Gnadengesuchs gewartet, und trotzdem war er 1995 nach Haiti abgeschoben worden. Im Jahr zuvor waren die USA in Haiti einmarschiert, um den gestürzten Präsidenten im Namen der Demokratie wiedereinzusetzen. Irgendjemand irgendwo in Washington war auf die Idee gekommen, die Gelegenheit zu nutzen und sämtliche haitianische Kriminelle, die kostspielige Zellenplätze belegten, in aller Stille abzuschieben. Da Boukman kein amerikanischer Staatsbürger war, bekam er den Heimflug spendiert mit dem Argument, es sei billiger, ihn abzuschieben als ihn hinzurichten. Zu jener Zeit gab es in Haiti weder Gefängnisse noch Gerichte oder eine Polizei, nur die amerikanische Besatzungsarmee, die vollauf damit beschäftigt war zu verhindern, dass das Land in die Anarchie abglitt, und nicht auch noch Polizist spielen konnte. Und so wurden die entlassenen Kriminellen bei ihrer Ankunft in der Heimat auf freien Fuß gesetzt und auf ihre schutzlosen und
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