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Todesritual: Thriller (German Edition)

Todesritual: Thriller (German Edition)

Titel: Todesritual: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Stone
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es zeigte die Gesichter aller Boxer, die dort trainiert und einen Titel gewonnen hatten, fast alles Jugendliche aus dem Viertel. Viele von ihnen kamen noch Jahre später hierher, und es erfüllte sie mit Stolz, sich noch immer an dieser Wand zu sehen, eine Erinnerung an ihre Triumphe. Das war etwas, das man den eigenen Kindern zeigen oder womit man die Freundin beeindrucken konnte. Die Zeitungen hatten geschrieben, wegen dieser Wand sei das Boxstudio bei den Unruhen der 1980er Jahre verschont geblieben, aber das war nur die halbe Wahrheit. Zorn ist kein großer Nostalgiker. Das Gebäude war vor allem deshalb nicht geplündert und niedergebrannt worden, weil viele Menschen in Liberty City Angst hatten vor Eldon und dem, was er zu tun imstande war. So einfach war das. Max suchte nach seinem eigenen Gesicht auf der Wand und hatte es schnell gefunden: Es war das einzige weiße Konterfei. Ein ganz gutes Porträt, ungefähr so hatte er damals ausgesehen.
    Er ging nach links los und war fest entschlossen, den ersten Menschen anzusprechen, der ihm über den Weg lief.
    Er begegnete niemandem. Es war Freitagnachmittag, Halloween, und die Straße wie ausgestorben. Nicht die normale Stille eines Sonn- oder Feiertags, wenn die Menschen zu Hause blieben, um sich zu erholen, oder aufs Land fuhren, um Verwandte zu besuchen, sondern eine anhaltende Verödung, als wäre das Viertel wegen einer Epidemie oder einer anderen Katastrophe in aller Eile verlassen worden. Reihenweise leerstehende Häuser, dazwischen vernagelte Geschäfte. Nichts war geöffnet, nichts in Betrieb. Fast rechnete er damit, Steppenläufer durch die Straßen rollen zu sehen.
    Nach zehn Minuten begegnete er zwei kleinen Mädchen, die auf dem Gehweg standen, eineiige Zwillinge, die beide das gleiche schwarze T-Shirt mit dem Bild eines lächelnden Mannes trugen, der zwei Babys im Arm hielt. Als Erstes fiel Max die Familienähnlichkeit auf, dann las er den Schriftzug, der um das Bild herumlief: Pookie Brown. 1985–2008. Wir werden Dich immer lieben.
    Die Mädchen sahen mit dem gleichen Blick zu ihm hoch, mit dem die Leute hier alle Polizisten ansahen, insbesondere weiße. Unter Polizisten hatte dieser Blick sogar einen Namen: Liberty Clock. Er enthielt ein Teil Misstrauen, ein Teil Feindseligkeit und zwei Teile Angst, vermischt mit einem Schuss resignierten Überdrusses. Mit diesem Blick sahen sie aus wie kleine Erwachsene. Er lächelte sie an und sagte »Hallo«, worauf sie zurückwichen und besagter Blick sich noch verstärkte. Es machte ihn traurig – um ihrer selbst und ihrer Zukunft willen –, in ihren Gesichtern die lange Geschichte von Hass und Wut zu sehen, die ihnen mit der DNS übertragen wurde und die der Wind, der durch diese trostlosen Straßen wehte, ihnen zuflüsterte. In Liberty City, hieß es, seien so oft Schusswechsel zu hören, dass die Kinder schon am Klang das Kaliber erkannten und lernten, in Deckung zu gehen, bevor sie laufen und sprechen konnten.
    Max ging weiter. Gras und Unkraut wuchs kniehoch aus den Rissen im Gehweg, um die leerstehenden Gebäude herum wucherte die Natur, weil sich niemand darum kümmerte. Es war, als würde das Viertel von unten abgetragen, als würde die Erde es in sich aufsaugen.
    Ein Stückchen weiter hörte er Al Greens »Belle« und folgte der Melodie bis zur offenen Tür einer Buchhandlung namens Swopes .
    Er trat ein, der Geruch von Essen stieg ihm in die Nase, und er sah einen Mann im gestärkten weißen Hemd, der am Tresen neben der Tür saß und ein paniertes Schnitzel mit Kohlgemüse, Maisgrütze, Yamswurzeln und weißer Soße aß. Der Mann hatte kupferbraune Haut, einen graumelierten Schnauzer zum ergrauenden Afro und ruhige, haselnussbraune Augen. Max vermutete, dass er der Besitzer oder Geschäftsführer war, weil er sich alle Mühe gab, nicht diesen Liberty-Blick aufzusetzen – schließlich war nicht auszuschließen, dass Max womöglich etwas kaufen wollte.
    Max lächelte und nickte, und der Mann erwiderte das Nicken.
    Der Laden war sehr viel größer, als er von draußen aussah. Und es gab nicht nur Bücher zu kaufen.
    Durch einen Rundbogen an der Rückwand betrat man eine Art Foto-Galerie. An den schwarzen Wänden hingen Polaroid-Fotos. Bei genauerer Betrachtung sah Max, dass es fast ausschließlich Fotos von jungen Schwarzen waren, keiner älter als Mitte zwanzig. Ein paar Ausnahmen gab es: einige wenige Frauen, ein bis zwei Kinder, ein Säugling. Über den Fotos hing ein Banner mit dem Schriftzug

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