Todesritual: Thriller (German Edition)
»Liberty City (1997 bis heute)«.
Auf einem runden Stehtisch mit schwarzer Tischdecke brannte ein Bündel dunkelroter Räucherstäbchen. Der beruhigende Duft von Lavendel erfüllte die Galerie. Zur Rechten stand eine große Tafel in Form eines T-Shirts, auf der die verfügbaren Modelle, Größen und Preise standen, die zwischen 10 Dollar für Kinder und 25 Dollar für Übergrößen rangierten. Max musste an die Zwillinge denken, die er auf dem Gehweg gesehen hatte.
Die Bücherregale an den übrigen drei Wänden bestanden aus je vier Etagen. Es gab die Rubriken Autobiographien, Belletristik, Geschichte, Rassendiskriminierung, Lebenshilfe, Diät und Fitness sowie Verschwörungstheorien – wobei Letztere den weitaus größten Raum einnahm. An den Wänden hingen gerahmte Fotos von Malcolm X, Marcus Garvey, Martin Luther King, Booker T. Washington, Rosa Parks, Maya Angelou, Angela Davis, Muhammad Ali, Jesse Owens und Barack Obama.
Max zog ein Buch aus der Rubrik Verschwörungstheorien: Die Melanin-Räuber von Alvin Sheen. Darin behauptete der Autor, weiße Wissenschaftler würden aus den Leichen schwarzer Verstorbener Melanin gewinnen und in allen möglichen Konsumgütern zum Einsatz bringen: vom Autoreifen bis zur Sonnenbrille. Es gab sogar ein Foto von dem hochgeheimen Labor in Afrika, wo die Gewinnung angeblich stattfand.
Max musste laut lachen, als er das Buch durchblätterte. Dann bemerkte er, dass der Mann, der eben noch gegessen hatte, im Rundbogen stand.
»Ist einer meiner Bestseller«, sagte er.
»Glauben Sie den Unsinn?« Max hielt das Buch in die Höhe.
»Da ist mit Sicherheit was dran.« Der Mann lächelte. »Aber Sie sind nicht hier, um Bücher zu kaufen, stimmt’s?«
Der Mann sprach mit leiser Stimme und sehr langsam, wie jemand, der nachdachte, bevor er den Mund aufmachte.
»Sie haben recht. Tut mir leid.« Max stellte das Buch zurück ins Regal. »Ich bin hier wegen der Schießerei im Boxstudio auf der 7th Avenue. Haben Sie davon gehört?«
»Sind Sie Polizist?«
»Nicht mehr. Privatdetektiv. Ich helfe einem Freund.«
»Muss ein guter Freund sein, dass Sie seinetwegen herkommen und wegen einer Schießerei Fragen stellen.«
»Das ist er«, sagte Max.
»Ich weiß nur das, was ich im Fernsehen gesehen habe. Da hieß es, es sei eine Art Initiation in eine Gang gewesen. Das ist Unsinn. Wir sind hier nicht in LA. Die Gangs hier bringen nicht vorsätzlich irgendwelche alten weißen Männer um. Die haben genug damit zu tun, sich gegenseitig über den Haufen zu schießen.«
»Kannten Sie das Mordopfer – Eldon Burns?«
»Nein, aber ich habe öfters mal von ihm gehört. Ich kannte ein paar von den Boxern, die er trainiert hat. Die haben ihn alle respektiert. Manche sind wegen ihm Polizist geworden.«
»Da haben Sie recht«, sagte Max mit schiefem Grinsen.
»Das war am Dienstag, richtig? Wissen Sie die Uhrzeit?«
»Gegen Mittag. Warum?«
»Weil um 12 Uhr 30 direkt hier um die Ecke auf einen Mann geschossen wurde. Hinten auf der Gasse«, sagte der Buchhändler. »Ich war hier. Habe quietschende Bremsen gehört, dann hat jemand geschrien. Dann ein Schuss. Das Auto ist schnell weggefahren. Ich bin rausgegangen, und da lag White Flight.«
»Wer?«
»White Flight. Der lebt hier auf der Straße. Er lag auf dem Boden, mit einer Kugel im Hals. Er war noch am Leben. Ich habe den Krankenwagen gerufen, und die haben ihn ins Jackson Memorial gebracht.«
»Hat er überlebt?«
»Ja. Er liegt nicht mehr auf der Intensivstation.«
»Haben Sie irgendwas gesehen?«
»Nein. Nur gehört. Und wissen Sie, dass hier nie ein Polizist aufgekreuzt ist, um mit mir zu reden? Ich habe denen sogar gesagt, dass das womöglich derselbe war, der Eldon Burns erschossen hat – wegen der Uhrzeit.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Waren Sie auch so wählerisch, als Sie noch Polizist waren?«
»Ich bin jeder Spur nachgegangen.«
Max schaute sich in der Gasse hinter dem Buchladen um. Nach wenigen Schritten sah er auf dem Asphalt ein großes Komma aus getrocknetem Blut. Daneben zwei parallele Reifenspuren – vor dem Blutfleck kurz, dahinter lang.
Er suchte den Boden neben dem Fleck ab. Blutspritzer auf dem Asphalt, ein paar an den Wänden. Vor der Wand ein Häufchen Sand, darin Scherben einer Weinflasche, im Sand und auf dem Glas Blut. Der Deckel war zugeschraubt.
Die mit Sand gefüllte Flasche hatte als Waffe gedient, als Keule.
Max ging tiefer in die Gasse hinein. Der Gestank traf ihn wie eine unsichtbare Wand aus
Weitere Kostenlose Bücher