Todesritual: Thriller (German Edition)
tiefer. Als Erstes fand er die Tochter, die sie in Tucson, Arizona zurückgelassen hatte. Dann den Freund in Miami Springs, den sie alle zwei Tage besuchte und dem sie Max’ Geld zuschob. Sein Name war Hector Givens. Er hatte in Arizona wegen Versicherungsbetrugs gesessen.
Er erzählte Max davon, der glaubte ihm nicht und wurde stinksauer. Dann fuhr Max zu Givens’ Wohnung, wo ihm Tameka die Tür aufmachte, bekleidet nur mit einem Chanel-Handtuch, das er ihr geschenkt hatte. Sie versuchte erst gar nicht, irgendetwas zu leugnen. Er sei der größte Vollidiot aller Zeiten, teilte sie ihm mit, wenn er wirklich nichts geahnt hatte. Der einzige Grund, warum eine Frau wie sie mit ihm zusammen sei, sei das Geld. Er sagte ihr, sie sei eine großartige Schauspielerin und eine verdammte Nutte. Sie lächelte – ein seltsames, selbstgefälliges Grinsen, das er als Schadenfreude interpretierte – und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Hector kam mit einem Reifenheber hinter ihm hergerannt und zeterte, er könne seine Frau nicht eine geldgeile Nutte nennen, oder was auch immer er ihr an den Kopf geworfen hatte. Max zertrümmerte ihm die Schneidezähne mit einem, den Kiefer mit dem zweiten Schlag. Dann spielte er kurz mit dem Gedanken, zurückzugehen und das Gleiche mit Tameka zu machen, aber er wollte keine Frauen schlagen. Stattdessen ging er in eine Bar auf dem Ocean Drive, betrank sich, bis er nicht mehr gehen konnte, und fiel auf dem Weg zum Klo die Treppe hinunter.
Er wachte im Krankenhaus wieder auf. Schlüsselbein gebrochen, linker Arm gebrochen, Bein gebrochen. Joe stand mit einer Schüssel Weintrauben und zwei Neuigkeiten am Bett: Tameka und Givens hatten mit unbekanntem Ziel die Stadt verlassen, und in New York waren soeben die Twin Towers eingestürzt. Es war der 11. September 2001.
Als Max aus dem Krankenhaus entlassen wurde, schwor er sich, nie wieder zu trinken oder zu rauchen oder Drogen zu nehmen und, sollte eine ähnlich attraktive Frau ihn jemals wieder auch nur anlächeln, sie überprüfen zu lassen, bevor er das Lächeln erwiderte.
Er zog wieder in das Haus in Key Biscayne. Er konnte schlecht einschlafen, und die verheilenden Knochenbrüche schmerzten. Er nahm Pillen gegen beides. Am 19. Dezember wachte er auf dem Gehweg auf, weil er von einem Sanitäter geohrfeigt wurde. Sein Zuhause und das Haus nebenan standen in Flammen. Wie er herausgekommen war – oder wer ihn herausgeholt hatte –, wusste er nicht. Die Brandermittler teilten ihm später mit, sein Nachbar habe sich und sein Haus mit Benzin übergossen und angesteckt.
Es sei ein Glück, sagten sie, dass er mit dem Leben davongekommen war. Er war sich da nicht so sicher. Das Feuer hatte ihm praktisch alles genommen. Sein Geld und – was besonders wehtat – alles Materielle, das ihn an Sandra erinnert hatte. Später händigte die Polizei ihm die einzigen Gegenstände aus, die aus den Ruinen gerettet worden waren: zwei Fotos, eines von ihm und Sandra an ihrem Hochzeitstag im Jahr 1985 und eines von Solomon Boukman, wie er ihm 1996 in Haiti eine Pistole an den Kopf hielt.
Max erkannte eine gewisse kranke Symmetrie darin, dass die Flammen ihm ausgerechnet diese beiden Fotos gelassen hatten. Sandra hatte er ungefähr zu jener Zeit kennengelernt, als er in Solomon Boukmans Orbit gezogen wurde, und sie war im selben Jahr gestorben, in dem Boukman aus dem Gefängnis entlassen und nach Haiti abgeschoben worden war.
Solomon Boukman …
Der Gedanke an ihn schickte kalte Schauer durch längst vergessene Nervenbahnen. Der Fall hatte Max fertiggemacht. Was ihm einen Karrieresprung hätte bringen sollen, hatte sich als Karrierekiller erwiesen – hatte ihn an den sprichwörtlichen Abgrund gebracht, an dessen Boden er nur sein wahres Spiegelbild gesehen hatte, das ihm von unten zuzwinkerte. Er hatte das immer für neunmalklugen Unsinn gehalten, den man sich zurechtlegte, um sich von der eigenen Verantwortung freizusprechen, aber Boukman hatte ihm gezeigt, wie viel Wahrheit darin steckte,und diese Wahrheit hatte ihn getroffen wie ein Schlag ins Gesicht.
Auf der Höhe seiner Macht hatte Boukman bei allem, was groß und illegal war in Miami, die Finger im Spiel gehabt: Drogen, Prostitution, Glücksspiel, Erpressung, Waffenhandel, Geldwäsche – das ganze Programm. Und doch war er mehr als die Summe seiner Verbrechen und die millionenschwere Organisation, die er führte. Er kontrollierte seine Leute mit Hilfe von Voodoo, schwarzer Magie und extremer Gewalt
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