Todesritual: Thriller (German Edition)
zwölf wurde, hatte sie mit ihren Eltern bereits Haiti, die Dominikanische Republik, Kuba und Brasilien bereist.
Die Mutter übte einen nachhaltigen Einfluss auf sie aus, sie prägte ihr ein, niemals zu vergessen, dass sie Schwarze und Haitianerin in Amerika sei. Nirva erzählte ihr auch von Toussaint L’Ouverture, dem einstigen Sklaven, der sich selbst in militärischer Strategie ausgebildet hatte und so die französische Herrschaft in Haiti stürzte und sein Volk in die Freiheit führte. Mit dreizehn las Vanetta das wichtigste Werk über Toussaint und die haitianische Revolution, Die Schwarzen Jakobiner von C. L. R. James.
Am 28. März 1954 nahmen Mutter und Tochter in Overtown an einer Bürgerrechtskundgebung teil. Obwohl die Demonstration friedlich verlief, wurde sie von Polizisten mit Wasserwerfern und Hunden aufgelöst. Nirva wurde direkt von einem Wasserstrahl getroffen, stürzte und schlug sich auf dem Gehweg den Kopf auf. Sie fiel ins Koma und starb zehn Tage später. Medgar Brown sollte sich vom Tod seiner Frau nicht mehr erholen. Er stürzte in eine tiefe, vom Alkohol verstärkte Depression und beging 1957 Selbstmord.
Im November 1955 lauschte Vanetta im Theater auf der Flagler Street einer Rede Fidel Castros. Dort lernte sie auch Ezequiel Dascal kennen, den Sohn kubanischer Aktivisten, die auch als Spendensammler für Castro bekannt waren: Camilo und Lidia Dascal aus Miami.
Im Februar 1960 heirateten die beiden. Ihre Tochter Melody wurde im April geboren.
1962 gründeten Vanetta und Ezequiel die Schwarzen Jakobiner, anfänglich eine Wohltätigkeitsorganisation, die Immigranten aus Haiti und Kuba Hilfe anbot. In einem ehemaligen Lagerhaus in Overtown, das sie Jakobiner-Haus nannten, versorgten sie die Menschen mit Nahrung, Unterkunft, Rechtsberatung und Englischunterricht.
Nach einem Bombenattentat 1963 auf eine schwarze Kirche in Birmingham, Alabama, bei dem vier Kinder ums Leben kamen, wurden die Schwarzen Jakobiner politisch. Von nun an hielt Vanetta Brown in ganz Miami Reden und warb aktiv neue Mitglieder. Im Gegensatz zu den Black Panthers, die die Rassentrennung befürworteten, zählten die Jakobiner auch viele Latinos und Weiße zu ihren Mitgliedern – ganz im Einklang mit Toussaint L’Ouvertures ursprünglicher Vision von einer freien und multikulturellen Republik Haiti.
Die Schwarzen Jakobiner wurden in ganz Florida und schließlich im ganzen Süden berühmt. Vanetta Brown war eine leidenschaftliche Rednerin, und ihr Bekanntheitsgrad und ihr Medienprofil wuchsen entsprechend. Die Medien tauften sie »die schwarze Rote« und behaupteten, die Gruppe werde von Fidel Castro finanziert.
1965 kam das Heroin nach Südflorida. Fast täglich landete erstklassiger Stoff aus dem Goldenen Dreieck in Frachtflugzeugen der Armee, die, aus Vietnam kommend, die Militärstützpunkte in Florida anflogen, in den USA. Schon bald war Heroin die Droge der Ghettos von Miami. Die Kriminalitätsrate explodierte.
Die Schwarzen Jakobiner erklärten den Dealern, deren Nummer eins Daniel Styles alias Halloween-Dan war, einen »Krieg der Schande«. Zu ihrer Taktik gehörte es unter anderem, in der ganzen Stadt Fahndungsplakate von bekannten Dealern aufzuhängen, vor den Häusern der Dealer und bekannten Drogenumschlagplätzen Mahnwachen zu halten und Fixertreffs mit menschlichen Barrikaden abzuriegeln, sodass sie zumachen mussten. Und sie gründeten eine kostenlose Entzugsklinik in Liberty City, die eine achtzigprozentige Erfolgsquote aufweisen konnte.
Nach nur zwei Monaten waren der Drogenhandel und die Beschaffungskriminalität in der Innenstadt von Miami spürbar zurückgegangen.
Am 4. Juni 1968 unternahm die Polizei eine Razzia auf das Haus der Jakobiner. Es kam zu einem Schusswechsel, und das Gebäude wurde in Brand gesetzt. Ezequiel und Melody Dascal kamen zusammen mit fünf weiteren Jakobinern in den Flammen ums Leben.
Vanetta Brown war angeblich durch ein Fenster entkommen, nachdem sie auf Detective Dennis Peck geschossen und ihn getötet hatte – nur dass mindestens drei Augenzeugen ausgesagt hatten, Vanetta Brown zum Zeitpunkt der Razzia mehrere Meilen entfernt in Miami Springs gesehen zu haben. In Anbetracht der Aussagen der beiden hochdekorierten und angesehenen Polizeibeamten, die die Razzia geleitet hatten, nämlich Eldon Burns und Abe Watson, wurde diese widersprüchliche Beweislage jedoch außer Acht gelassen.
Im Laufe der darauffolgenden Woche stellten dieselben Polizeibeamten über einhundert
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