Todesritual: Thriller (German Edition)
wahre Helden, weil Lamar von irgendwas leben muss!«
Er verließ den Laden und nickte Lamar zu, der das Nicken erwiderte, ohne sich aus seinem Redefluss bringen zu lassen.
»Es wird immer behauptet, Napoleon sei an seinem Feldzug gegen Russland gescheitert, aber auch in Haiti hat er von Toussaint L’Ouverture ganz schön den Hintern voll gekriegt. Das hat ihm wahrscheinlich mehr wehgetan. Da ist dieser Kerl, der angeblich ein militärisches Genie sein soll, und der wird in seiner eigenen Kolonie strategisch und militärisch von einem entlaufenen Sklaven besiegt. Können Sie sich vorstellen, wie das daheim in Frankreich angekommen ist?«
»Das ist unglaublich, Mann, was du alles weißt«, seufzte die Frau.
»Ich geb mir Mühe.« Lamar entschuldigte sich und kam zu Max, nahm ihn beim Arm und führte ihn in eine andere Ecke des Buchladens.
»Haben Sie White Flight besucht?«, fragte er.
»Ja, habe ich.«
»Wie geht es ihm?«
»Er wird nie wieder sprechen können, aber er ist am Leben.«
»Was für ein Leben«, sagte Lamar. »Warum sind Sie hier?«
»Kennen Sie Vanetta Brown?«
»Natürlich. Ich habe sie oft reden gehört, in Overtown«, sagte er.
»Wie war das?«
»Inspirierend. Ungefähr so wie Barack heute, nur viel wütender – sehr viel wütender. Aber das waren auch andere Zeiten damals.«
»Klar.«
»Und wissen Sie, was mich überrascht hat bei ihren Reden? Da waren nicht nur Schwarze, da waren auch Weiße. Keine gewaltigen Massen, aber genug, dass es einem auffiel. Anständige, engagierte Leute. Nicht wie diese Heuchler heutzutage – die immer auf liberal machen und dir erzählen, sie fühlen deinen Schmerz, und diesen Hip-Hop-Jargon draufhaben, und wenn ihnen dann die Reifen geklaut werden oder das Töchterchen mit einem Schwarzen ausgeht, dann holen sie die weißen Laken raus und wollen die Rassentrennung wieder einführen.«
»Prinzipien zählen nur, wenn sie unbequem sind«, sagte Max.
»Gut gesagt!« Lamar lächelte. »Warum fragen Sie nach Vanetta?«
»Hintergrundinfo.«
»Hintergrundinfo für was? Für diesen Fall, den Sie bearbeiten?«
»Ja.«
»Meinen Sie, sie hat was damit zu tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie lebt wohl in Kuba, heißt es.«
»Das weiß ich. Sagen wir, ich folge einer Spur.«
»Klingt, als würde Sie da jemand auf den Arm nehmen. Aber egal, ich habe ein Buch über Vanetta, wenn es Sie interessiert«, sagte Lamar.
»Klar.«
»Nur … genau genommen dürfte ich es gar nicht haben. Wenn ich es Ihnen verkaufe, dürfen Sie Ihren Kumpanen bei der Polizei nichts davon erzählen.«
»Ich habe keine Kumpane bei der Polizei. Was hat es mit dem Buch auf sich?«
»Es ist in Kuba erschienen.«
»Kein Grund zur Sorge«, sagte Max. Die halbe Bevölkerung von Little Havana trank kubanischen Rum und rauchte kubanische Zigarren. »Wo haben Sie es her?«
»Ich kenne da einen Bruder in Kanada, der in Montreal einen schwarzen Buchladen betreibt. Der wiederum kennt diesen Verleger in Havanna, einen Franzosen namens Antoine Pinel. Und der veröffentlicht Bücher über die Panther, hauptsächlich Autobiographien. Cuban X-Press heißt der Verlag.«
Lamar verschwand hinter seinem Tresen und tauchte einige Sekunden später mit einem Hardcover in der Hand wieder auf: Black Power in the Sunshine State von Kimora Harrison. Auf dem Buchdeckel prangte ein Foto von Vanetta Brown vor dem Freedom Tower, die Faust zum Power-Zeichen erhoben. Das Buch war alt, an den Rändern vergilbt, und als Max in den Seiten blätterte, stieg ein leicht muffiger Geruch auf.
»Kennen Sie irgendwen aus der Gegend, der bei den Schwarzen Jakobinern war oder Vanetta gut kannte?«, fragte Max.
»Nicht mehr. Die sind entweder tot oder nicht mehr da, eins von beiden«, sagte Lamar. »Aber ich kann Ihnen sagen, worin sich alle einig waren: Sie hat diesen Polizisten nicht erschossen.«
»Ach nein?« Max war nicht weiter überrascht. Auch Castro hielt sie für unschuldig. »Wer dann?«
»Der weiße Mann.« Lamar grinste höhnisch. »Der weiße Mann war es. Der gleiche, der allen anständigen Schwarzen in Amerika das Leben schwermacht.«
14
Max machte es sich mit Notizbuch und Stift auf dem Sofa gemütlich und las Black Power in the Sunshine State .
Vanetta Brown war am 17. Februar 1936 in Overtown, Miami, als Tochter einer wohlhabenden Familie geboren worden. Ihr Vater Medgar war Arzt. Ihre Mutter Nirva arbeitete als Sekretärin und stammte ursprünglich aus Haiti.
Vanetta war ein Einzelkind. Als sie
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