Todesritual: Thriller (German Edition)
Frau rief einen Kellner herbei, der sie zu ihrem Tisch führte. Auch der war, genau wie die Frau, Kubaner, aber gekleidet wie ein Chinese: weiße, hochgeschlossene Jacke, weite schwarze Hose, schwarze Slipper und eine schwarze Kappe, an die ein dünner schwarzer Pferdeschwanz angenäht war, der ihm bis über den Rücken reichte.
Gwenver ging voran. Alle standen auf, wenn er sich ihrem Tisch näherte, und wenn er nicht in unmittelbarer Reichweite vorbeikam, gingen sie zu ihm, um ihn zu begrüßen. Die Männer empfing er mit Handschlag, die Frauen mit Küsschen. Nicht wenige machten ihm schöne Augen, ein paar flüsterten ihm etwas ins Ohr – in Anwesenheit ihrer männlichen Begleiter. Man begegnete ihm mit gebührender Hochachtung und gebührendem Arschkriechen. Es gab verlogenes Lächeln, forciertes Gelächter und reichlich Schulterklopfen.
Sie nahmen einen Tisch ganz hinten, direkt vor der gut bestückten Bar.
Gwenver setzte sich mit dem Rücken zur Wand und bestellte Rum auf Eis. Max orderte das Erste, was ihm in den Sinn kam: eine Coke. Sofort wurde ihm klar, dass er Unmögliches verlangte, aber da war der Kellner schon wieder hinter der Bar verschwunden.
»Sie trinken keinen Alkohol?«, fragte Gwenver.
»Hab aufgehört.«
»Probleme damit?« Gwenvers rechte Augenbraue zog sich zu einer schneeweißen Pfeilspitze hoch.
»Nein. Es schmeckt mir einfach nicht mehr.«
Gwenver lächelte.
Auf dem Tisch lagen neben einem schweren Marmoraschenbecher zwei Speisekarten.
Max überflog das Angebot. Die Karte war auf Chinesisch verfasst, darunter in Klammern die spanische Übersetzung. Auf einer Seite Pizza, Pasta auf der nächsten, hinten die Getränke.
»Wo muss ich hingehen, wenn ich Dim Sum möchte?«, fragte er.
»Wissen Sie, wie man in einem chinesischen Restaurant einen Kubaner von einem Touristen unterscheidet? Der Kubaner ist der mit der Pizza.«
»Ich wusste gar nicht, dass Pizza ein chinesisches Gericht ist.«
»Kubaner lieben Pizza.«
Der Kellner brachte die Getränke. Nachdem er Max die Colaflasche gezeigt hatte – eine von den echten mit den Sanduhrkurven und der grünlich blauen Färbung –, schenkte er mit großer Geste und großer Sorgfalt ein, als handle es sich um allerfeinsten Wein. Er achtete darauf, dass nichts überschäumte, und stellte dann die Flasche auf dem Tisch ab.
Als er den Rum servierte, flüsterte Gwenver ihm etwas zu. Der Kellner nickte und ging.
Die Gäste unterhielten sich leise, Einzelheiten ihrer Gespräche waren bei dem eifrigen Besteckgeklapper auf den Tellern nicht zu verstehen.
»Was ist das hier?«, fragte Max.
»Wonach sieht es aus?«
»Nach einem Restaurant. Einem sehr exklusiven, in das man nicht einfach reinmarschieren kann.«
»Genau das ist es wohl«, sagte Gwenver.
»Nicht sehr sozialistisch.«
»Das ist das Besondere an Kuba: Nichts ist, wie es scheint oder wie es sein sollte. Was Sie zu wissen glauben, ist meist ein Irrtum.«
Gwenver nahm einen Schluck Rum.
Max betrachtete die Colaflasche, weil er wissen wollte, wo sie abgefüllt worden war. Unter dem geschwungenen Logo stand es zu lesen: in Pensacola, Florida.
»Man kriegt hier alles, was man will, man muss nur wissen, wo man danach sucht und wen man fragt – und wie man fragt.« Gwenver zwinkerte ihm zu.
»Sogar amerikanische Waren?«
»Vor allem amerikanische Waren«, entgegnete Gwenver. Er leerte sein Glas. Max fiel auf, dass der Blick, mit dem Gwenver ihn betrachtete, sich verändert hatte. Bevor sie durch diese Tür getreten waren, hatte er eine offene, beinah glückliche Art an den Tag gelegt: der Stadtführer, der seine Begeisterung über sein Land teilen will, der glücklich gehirngewaschene Propagandist, der seinem Gegenüber sein Manifest für diese zerschlissene Utopie aufzuschwatzen versucht. Jetzt musterte er Max wie einen seltenen Käfer, den er unter einem Glas gefangen hatte – als versuchte er herauszufinden, wie er gebaut war und wie heftig er wohl zupfen musste, um ihm die Flügel auszureißen.
»Auf dem Schwarzmarkt?«, fragte Max.
»Der Schwarzmarkt ist das, was diese Regierung an der Macht hält.«
»Wie das?«
»Jede Diktatur bricht zusammen, wenn es an grundlegenden Dingen fehlt, an etwas, ohne das die Leute nicht leben können«, sagte er. »Die meisten Menschen finden sich mit praktisch allem ab, solange drei Grundbedürfnisse erfüllt sind: Nahrung, Wasser und ein Dach über dem Kopf. Die Kubaner kriegen ihre Lebensmittel vom Staat. Jeder hier hat ein Heft mit
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