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Todesritual: Thriller (German Edition)

Todesritual: Thriller (German Edition)

Titel: Todesritual: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Stone
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sich die Häuser von rechts und links voreinander zu verneigen schienen und sich ganz oben beinahe berührten. Der Straßenbelag war wellig und löchrig, andernorts uneben und rau. Alle paar Blocks stießen sie auf abgesperrte Ruinen unbestimmten Alters und Berge von Schutt, der auf die Straße rollte, wo die Passanten einen großen Bogen um die Trümmer machten.
    Von überall war das Capitolio zu sehen, das Parlamentsgebäude aus der Zeit vor Castro, ein enger Verwandter des Kapitols in Washington, ihm in Größe und Format ebenbürtig. Seine weiße Kuppel dominierte die rostfarbene, chaotische Stadtlandschaft, prachtvoll und fremd, als wäre es von ganz woanders hier abgesetzt worden.
    Sie überquerten den Prado und gingen auf ein breites Tor mit Pagodendach zu, das den Anfang der Calle Dragones und des Barrio Chino markierte – des Chinesenviertels von Havanna. Das Tor war ein Geschenk der chinesischen Regierung gewesen. Auf der Tafel war »Chino« falsch geschrieben, dort stand: »Barrio Hino«.
    Sie traten aus der sengenden Sonne in einen Bogengang, dessen verschnörkelte Säulen Risse aufwiesen, die Farbe war abgeplatzt. Die verblichenen Bodenfliesen waren grau und glasig geworden, sodass sich die Umrisse der Passanten darin schwach und dunkel widerspiegelten, wie Fische unter der Oberfläche eines ölbedeckten Sees. In allen Hauseingängen arbeiteten Menschen, hämmerten und klopften, sägten, bohrten und schweißten. Männer besohlten Schuhe mit alten Autoreifen, Kinder bauten Skulpturen aus Getränkedosen, Frauen schliffen Tische und lackierten Stühle, ein älteres Paar bastelte aus einem Haufen Porzellanscherben Teller und Tassen.
    Ein herrenloser Rottweiler trottete ihnen entgegen. Er sah verängstigt aus, benommen vor Hunger und Hitze, nur noch Haut und Knochen in einem flohverseuchten Pelz. Wann immer jemand ihm zu nahe kam, wich er in großem Bogen aus, sodass der Passant reichlich Platz hatte.
    »Die Hunde hier haben Angst vor Menschen«, sagte Gwenver. »Das liegt noch an der so genannten ›Sonderperiode‹. In den Neunzigern waren Lebensmittel knapp, besonders Fleisch. Da haben die Leute alles gegessen, was sie in die Finger kriegten – nur sich gegenseitig nicht. Die meisten Zootiere sind spurlos verschwunden, und Haustiere endeten auf dem Teller. Damals hat die Regierung angefangen, Nagetiere zu züchten, um die Bevölkerung zu ernähren. Haben Sie schon mal eine Ratte gegessen?«
    »Nein. Sie?«
    »Aber sicher. Schmeckt ein bisschen wie Kaninchen. Apropos, haben Sie Hunger?«
    28
    Sie wanderten durch Havannas Chinesenviertel – einst das größte und wohlhabendste Viertel seiner Art in ganz Lateinamerika, heute nur noch eine einzige Straße mit Restaurants in grellbuntem, kitschigem Pagodendekor, die entweder das Wort »China« oder »Drache« im Namen trugen. Das Angebot der Speisekarten bestand hauptsächlich aus Pizza und Pasta. Am Ende der Straße gelangten sie zu einem großen, blassorange gestrichenen Haus mit strahlend weißen Balkonen.
    Gwenver klopfte dreimal an die Tür. Wenige Augenblicke später fragte eine Stimme, wer da sei.
    »Malcolm X«, antwortete er.
    Eine junge, dunkelhäutige Schönheit in einem knöchellangen chinesischen Kleid mit Blumenmuster öffnete die Tür. Das türkisfarbene Kleid war schulterfrei und hauteng und an den Seitennähten bis zu den Oberschenkeln geschlitzt. Sie war zu stark geschminkt und trug schwere, glitzernde Ohrringe, die ihre Ohrläppchen in die Länge zogen.
    Sie begrüßte Gwenver mit einem Lächeln, das von dem Lippenstift auf ihren Zähnen und einem Wortschwall getrübt wurde, den Max nicht verstand.
    Sie führte die beiden hinein.
    Max hatte erwartet, sich in einem Bordell wiederzufinden, aber es war ein Restaurant. An den Wänden hingen dicke karmesinrote Vorhänge, die mit brüllenden goldenen Drachen bestickt waren. Girlanden mit roten Papierlaternen hingen an der Decke und spendeten ein gedämpftes Licht, das dem Raum die Anmutung eines luxuriösen Riesensargs mit schlecht passendem Deckel verlieh.
    Ungefähr ein Dutzend Gäste saßen an Marmortischen, aßen Pizza und schlürften Spaghetti. Jeder einzelne von ihnen strahlte Überfluss aus. Armut oder Anstrengung kannten sie offensichtlich nicht. Sie trugen Designerkleidung und Schmuck. Haare, Zähne und Haut perfekt wie für’s Foto. Die Männer vom Typ attraktiver Latin Lover, die Frauen von herzzerreißender Schönheit. Alle sahen jung aus, keiner jenseits der fünfunddreißig.
    Die

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