Todesrosen
stand, Computer gestohlen zu haben, in Privathäuser eingebrochen oder in andere typische Delikte innerhalb der Drogenszene verwickelt zu sein. Weder Sigurður Óli noch die anderen Kollegen hatten feststellen können, dass dabei etwas herausgekommen wäre. Wenn das Mädchen etwas über Kleinkriminalität dieser Art wusste, schwieg sie sich aus. Im gegenwärtigen Fall hatte Eva Lind ihnen allerdings geholfen und die Ermittlungen damit beschleunigt.
»Ich weiß bloß, dass Eva Lind uns in diesem Fall behilflich gewesen ist«, sagte Sigurður Óli.
»Zu behilflich«, entgegnete Erlendur. Sie bogen auf den Parkplatz vor dem Häuserblock in Breiðholt ein, wo Erlendur wohnte. Sigurður Óli brachte den Wagen zum Stehen und stellte den Motor ab. Erlendur griff in seine Tasche, zog das Foto von Jóel und Eva Lind im Hotelzimmer heraus und reichte es Sigurður Óli.
»Sie war damals erst siebzehn«, fuhr er fort. »Der Junge bei ihr heißt Jóel. Den müsstet ihr ausfindig machen können. Den Mann kennst du vielleicht, er ist ein hohes Tier in der Stadtverwaltung. So hoch, dass sein Name sogar manchmal in den Nachrichten genannt wird. Das Foto wurde wahrscheinlich dazu verwendet, um ihn gefügig zu machen. Es hat vermutlich etwas mit der Vergabe von Grundstücken zu tun, auf diese Weise wurden innerhalb der Verwaltung die Wege für Kalmann geebnet. Ich will, dass du dieses Foto in Verwahrung nimmst und es im Rahmen der Ermittlungen nur dann bemühst, wenn es absolut erforderlich ist. Falls es dazu kommt, musst du vielleicht nicht unbedingt gleich verraten, wer das Mädchen ist. Meinst du, dass du mir den Gefallen tun kannst?«
»Ist das wirklich deine Tochter?«, fragte Sigurður Óli leise und betrachtete das Bild. »Ich hätte sie nicht erkannt, wenn du es mir nicht gesagt hättest. Du musst dich beschissen fühlen.«
»Bestimmt fühle ich mich nicht beschissener als sie, das arme Kind.«
Sie saßen noch eine ganze Weile im Auto, gingen den Fall durch und beschlossen, Kalmann gleich am nächsten Morgen einen Besuch abzustatten. Sigurður Óli überredete Erlendur dazu, noch mit ihm zu Kalmann zu gehen und sich erst danach aus dem Fall zurückzuziehen. Ein weiteres Team würde sich zu dem hohen Beamten der Stadtverwaltung begeben, der auf dem Foto zu sehen war.
Sigurður Óli schwieg eine Weile, während er überlegte, wie er Erlendur am besten beibringen könnte, dass er mit der Zeugin Bergþóra geschlafen hatte. Er musste es ihm früher oder später sagen. Es wäre unerträglich, wenn Erlendur es auf anderem Wege herausfinden würde.
»Worüber denkst du nach?«, fragte Erlendur.
»Ich denke an Bergþóra, unsere Zeugin vom Friedhof. Ich muss dir etwas sagen.«
»Was denn?«
»Ähm, ich war bei ihr an dem Abend, als ihr den Kasten in Herberts Haus gefunden habt.«
»Und?«
»Sie hatte mich zum Essen eingeladen.«
»Und du hast mit ihr gevögelt?«
»Wir haben miteinander geschlafen.«
»Du hast mit unserer einzigen Zeugin gevögelt!«
»So war es nicht. Du brauchst das nicht in den Dreck zu ziehen.«
»In den Dreck zu ziehen? Ich?«
»Ich mag Bergþóra sehr.«
»Sie ist eine Zeugin, du Idiot.«
»Das weiß ich.«
»Habt ihr euch über die Reykjavíker Friedhöfe ausgetauscht?«
»Halt die Schnauze.«
»Du meinst wohl: Ruhe in Frieden.«
Siebenunddreißig
Früh am nächsten Morgen gingen sie wieder die Stufen zu Kalmanns Villa hoch und klingelten. Als keine Reaktion erfolgte, klingelten sie noch einmal. Endlich hörte man Geräusche von drinnen, und Kalmann erschien im Morgenmantel in der Tür. Sein Haar war ungekämmt, und er starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
»Was, ihr schon wieder? Offensichtlich schmiere ich nicht die richtigen Leute«, flachste er und ging zurück ins Haus. Erlendur und Sigurður Óli folgten ihm und schlossen die Haustür hinter sich.
»Was kann ich für euch gegen Verbrechen und Korruption kämpfende Kreuzritter tun?«, rief Kalmann ihnen aus dem Wohnzimmer zu. Er hatte in einem ausladenden Ledersofa Platz genommen und schlug die Beine übereinander. »Ist es nicht reichlich unverschämt, jemanden so früh am Morgen zu wecken und ins Kreuzverhör zu nehmen?«
»Es handelt sich keineswegs um eine offizielle Vernehmung, und deine rechtliche Situation ist nicht die eines Tatverdächtigen, aber du möchtest vielleicht trotzdem deinen Rechtsanwalt hinzuziehen. Wir haben Zeit. Bei unseren Ermittlungen im Mord an dem Mädchen ist ein weiteres Mal dein Name
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