TODESSAAT
Keogh von dem stets mitlaufenden Tonband, fragte aber an, ob seine Leute den Anruf zurückverfolgt hatten. Sie hatten. Er war von der Edinburgher Nummer Harrys gekommen. Er versuchte, dort zurückzurufen, es ging jedoch niemand ans Telefon. Schließlich rief er einen Kurier herein und gab ihm den Umschlag.
»Geben Sie das bitte auf«, sagte er, doch dann überlegte er es sich, holte den Kurier noch einmal zurück und befahl ihm: »Nein, stecken Sie es in einen größeren Umschlag und schicken Sie es per Eilboten. Und dann vergessen Sie, dass Sie den Umschlag jemals gesehen haben, klar?«
Dann war er wieder mit seinen düsteren Gedanken allein. Wieder kam Misstrauen auf und ein Jucken zwischen seinen Schulterblättern, wo er sich nicht kratzen konnte.
DRITTES KAPITEL
Harry Keogh, der Necroscope, wusste nichts von Clarkes Ärger, er hatte selbst ein paar Probleme. Das mit Geoffrey Paxton war vielleicht noch das Geringste darunter, und doch wegen seiner Unmittelbarkeit vielleicht das Schlimmste. Harry hatte keine Angst vor Paxton; im Gegenteil, er fürchtete eher, was er Paxton antun könnte, falls er die Beherrschung verlor. Und er fürchtete das, was er sich bei dieser Gelegenheit womöglich selbst zufügte. Es wäre nur zu einfach, sich zu verraten und zu zeigen, dass er nicht länger unschuldig war, sondern dass eine sich ständig weiterentwickelnde schreckliche Dunkelheit Besitz von ihm ergriffen hatte.
Harry war klar, dass Paxton nach Beweisen suchte, nach Beweisen dafür, dass für den Necroscopen kein Platz mehr auf dieser Welt war, dass er nicht einmal mehr ein Mensch, sondern eine fremdartige Kreatur war und somit eine monströse Bedrohung darstellte. Und wenn Paxton sich dieser Tatsache gewiss war, würde er darüber Bericht erstatten und es würde zum Krieg führen. Harry Keogh gegen den Rest der Menschheit. Und das war das Letzte, was Harry sich wünschte. Wie lange hatte er sich mit aller Kraft für das Überleben eben dieser Menschheit eingesetzt ...
Paxton irritierte ihn fürchterlich. Seine Nähe erinnerte ihn ständig an eine weit größere Bedrohung, die die gesamte Existenz des Necroscopen in Frage stellte. Er hätte gern auf den Mann verzichtet, denn für einen Wamphyri gab es nur eine ›ehrenhafte‹ Antwort auf jede Herausforderung, und die wurde in Blut geschrieben.
Wamphyri! Welche ... Kraft schon in diesem Wort lag!
Es vibrierte in seinem gesamten Wesen, wie das Bewusstsein von Leidenschaften jenseits der schüchternen, plumpen menschlichen Gefühle, eine wilde Explosion, die sein kochendes Blut kaum noch zurückhalten konnte. Es war eine Kettenreaktion, die sich in ihm abspielte, und der Katalysator dafür war sein Blut. Auch das war eine Herausforderung, doch eine, der er nicht nachgeben durfte. Nicht, wenn er unentdeckt und zum größten Teil Mensch bleiben wollte.
Paxton war wie ein lästiger Floh, der seinen Rüssel in seinen Verstand bohren wollte, um ihm seine Geheimnisse auszusaugen. Da es jedoch noch weitere solcher Flöhe gab, konnte er es sich nicht leisten, sie fortzuschlagen.
Etwas anderes dagegen war beinahe unerträglich: Die Toten, die überwältigende Mehrheit unter den Menschen, zogen sich allmählich vor ihm zurück. Wie lange war er der Einzige gewesen, der mit ihnen zu sprechen vermochte, der ihnen Trost und Hoffnung gab und ihre Freundschaft erhielt! Doch die Veränderung in ihm löste auch eine Veränderung in ihnen aus, und so wurde das Vertrauen, das sie in ihn setzten, immer schwächer.
Oh ja, es gab viele unter ihnen, die ihm mehr zu verdanken hatten, als sie ihm je zurückgeben konnten, und viele weitere, die ihn ganz einfach liebten, für die der Necroscope ein Licht in der völligen Dunkelheit des Todes dargestellt hatte, und doch misstrauten sogar sie ihm allmählich. Als er noch der unkomplizierte, sanfte und liebenswerte Harry gewesen war – wie wundervoll war es damals gewesen, dass er sie und sie ihn zu berühren vermochten! Doch das war Schnee von gestern.
Und nun, da er mehr als nur Harry war? Es gibt Dinge, die selbst die Toten noch fürchten, und auch ihre Geduld hat Grenzen ...
Seit er Janos Ferenczy und dessen Werke vernichtet hatte, hatte er keine Ruhe mehr gefunden. Ihn beschäftigte – höchstens durch Paxton gestört – das Wissen, dass in England ein Nekromant lebte und sein Unwesen trieb. Penny Sanderson zählte er mittlerweile zu seinen Freunden, vielleicht sogar zu seinen besonderen Schützlingen, und er konnte den Gedanken an
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